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Shannara VIII

Titel: Shannara VIII Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Brooks
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nur diesmal aus einer anderen Perspektive, so, als würde die Geschichte einem anderen zustoßen. Erneut wurde der alte Beller umgebracht, nachdem er hinausgelaufen war, um zu schauen, was dort vor sich ging. Abermals schlichen die verhüllten Gestalten im bleichen Licht der Dämmerung an ihrem Fenster vorbei auf die Vordertür zu. Wieder wollte sie fliehen, und wieder war die Mühe vergeblich. Sie versteckte ihren Bruder im Keller und versuchte dem Schicksal ihrer Eltern zu entgehen. Doch die verhüllten Gestalten lauerten ihr auf. Sie schaute zu, wie sie selbst ergriffen wurde, während das Haus lichterloh brannte. Dann wurde sie bewusstlos und hilflos nach Osten verschleppt, wo es langsam heller wurde.
     Alles war so, wie sie sich daran erinnerte. Trotzdem war es gleichzeitig anders. Sie sah sich umringt von dunklen Gestalten, die die Köpfe zusammensteckten und sich berieten, während sie gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen dalag. Dennoch stimmte etwas nicht. Sie ähnelten gar nicht den Gestaltwandlern, die sie in Wirklichkeit entführt hatten, wie sie wusste. Außerdem war der Druide Walker nirgendwo zu entdecken. Hatte sie ihn überhaupt diesmal in der Nähe ihres Zuhauses gesehen? Sie meinte nicht. Wo war er?
     Gewissermaßen als Antwort auf ihre Frage erschien zwischen den Bäumen eine Gestalt, groß und dunkel und im Kapuzenmantel wie diejenigen, die sie gefangen genommen hatten. Er ähnelte einem Druiden, dem Teil einer vergehenden Nacht, der dem Versprechen des bevorstehenden Todes gleicht. Er deutete auf die Entführer, winkte sie zu sich, sprach Worte, die sie nicht hören konnte, und trat dann zur Seite. Plötzlich verteilten sich die Entführer und begannen gegeneinander zu kämpfen. Aber es war kein harter, brutaler Streit, sondern lediglich eine Übung. Gelegentlich hielt der eine oder andere inne, als wolle er die Wirkung des Schauspiels beurteilen. Die verhüllte Gestalt ließ sie eine Weile lang gewähren, wartete, griff dann unvermittelt nach ihr, riss sie hoch, verschwand mit ihr unter den Bäumen und ließ das eigenartige Szenario hinter sich.
     Während er rannte, erhaschte sie einen Blick auf seine Unterarme. Sie waren mit Schuppen besetzt und gesprenkelt. Ein Reptil.
     Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Nein! Sie wurde tief in den Wald geschleppt zu einer stillen Stelle, wo die dunkle Gestalt sie absetzte. Nun konnte sie zuschauen, wie er sich enthüllte, und es war nicht der Druide, den sie da erkannte, sondern der Morgawr. Verräter! Das Wort fuhr ihr schrill durch den Kopf. Lügner! Aber eigentlich war er noch viel schlimmer. Mit Worten konnte man es gar nicht ausdrücken. Er war einfach ein Ungeheuer.
     Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass sie die Wahrheit sah. Instinktiv war ihr dies klar, und sie zweifelte an nichts. Die Bilder, die das Schwert von Shannara heraufbeschwor, konnten nicht lügen. Sie fühlte es tief in ihrem Innern, und alles ergab auf wundersame Weise Sinn. Wieso war sie nicht früher schon draufgekommen? Wie hatte sie sich so leicht täuschen lassen können?
     Immerhin war sie damals erst sechs Jahre alt gewesen, erinnerte sie sich. Ein kleines Kind.
     Gefühle übermannten sie wie reißende Wölfe, und am liebsten hätte sie vor Wut und Verzweiflung aufgeschrien. Aber sie konnte ihren Emotionen keinen Ausdruck verleihen. Sie konnte nur zuschauen. Die Magie des Schwertes erlaubte nicht mehr.
     Sie hörte den Morgawr, der mit ihr sprach, so sanft und schmeichelnd und verräterisch. Sie beobachtete sich selbst, wie sie sich langsam mit seinen Lügen anfreundete, sie akzeptierte, glaubte, was er zu sein behauptete, und ihm abnahm, dass sie ein Opfer der Machenschaften des Druiden sei. Anschließend brachte er sie auf einem Würger fort, in sein unterirdisches Versteck tief im Wildewald. Er schloss die Tür zu ihrem Gefängnis, und sie wurde zu einem willigen Narren, zu einer Marionette in einem Spiel, das sie nun überhaupt zum ersten Mal zu begreifen begann. Sie fing ein neues Leben an - ein kleines, fehlgeleitetes Kind, das von Hass und Entschlossenheit angetrieben wurde. Sie wusste, von nun an würde sie nicht mehr die Gleiche sein, konnte das jedoch nicht verhindern und nichts anderes tun, als an ihrem Schicksal zu verzweifeln.
     Dennoch hörten die Bilder nicht auf, bewegten sich weiter, enthüllten ihr die Wahrheit, die so viele Jahre vergraben geblieben war. In den rauchenden Ruinen ihres Elternhauses beobachtete sie einen Gestaltwandler,

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