Shannara VIII
Wesen schon an. Es sprang aus dem Dschungel, machte mit den kurzen, kräftigen Beinen einen riesigen Satz aus dem Versteck und packte Tian Cross mit seinem enormen Maul, ehe der Fahrende wusste, wie ihm geschah. Tian stieß einen einzigen Schrei aus, dann durchbohrten ihn die nadelspitzen Zähne, und überall war Blut.
Seit langer Zeit war Redden Alt Mer nicht mehr in Panik geraten, aber genau das passierte ihm jetzt. Möglicherweise lag es an der Plötzlichkeit, mit der das Ungeheuer angriff. Vielleicht war es jedoch auch der grausame Anblick, wie diese eigentümliche gehörnte Eidechse von unglaublicher Größe aufgerichtet dastand und wie Tian Cross’ lebloser Körper schlaff aus ihrem Maul hing. Nie zuvor hatte er ein so gigantisches Wesen gesehen, das sich so schnell bewegte. Mit der Geschwindigkeit einer Schlange, die zustößt, war es aus dem Dickicht gekommen. Vor Redden Alt Mers innerem Auge spielte sich diese Bewegung nochmals ab, und der Schreck, den sie ausgelöst hatte, fuhr ihm erneut in die Glieder.
Bluttropfen regneten auf ihn herab, als das Ungetüm die Leiche seines Gefährten schüttelte.
Redden Alt Mer rannte los, zurück in den Dschungel. Er hielt nicht inne, um zu überlegen, wohin er lief und was er tat. Der Gedanke, Tian zu helfen, kam ihm nicht in den Sinn. Tief im Innern wusste er, Tian war tot, und ihm war nicht mehr zu helfen, aber das war nicht der Grund, weshalb er davonlief. Er flüchtete Hals über Kopf, weil ihm klar war, dass er sonst ebenfalls sterben würde.
Etwas anderes als die Flucht fiel ihm nicht ein.
Zunächst glaubte er, das Ungeheuer würde ihm nicht folgen, da es mit seiner Beute zu beschäftigt wäre. Doch schon Sekunden später hörte er es kommen, hörte das Knacken und Brechen von Ästen und Zweigen, das Rascheln von Laub, und spürte das Beben der Erde unter dem Gewicht und der Masse des kräftigen Körpers. Es sauste durch das Unterholz wie von einem Katapult abgeschossen. Der Große Rote beschleunigte abermals, obwohl er schon meinte, nicht mehr schneller zu können. Er jagte durch das Dickicht und duckte sich wieder und wieder unter Ästen hindurch, bis der Raum zwischen den Bäumen wieder offener wurde, und dann legte er noch einmal an Geschwindigkeit zu. Er warf seine hinderlichen Waffen ab, die gegen einen solchen Koloss sowieso wirkungslos waren. Schließlich fühlte er sich einerseits so leicht, als könnte er fliegen, und doch gleichzeitig so schwerfällig wie in Ketten.
Einmal wagte Alt Mer einen Blick über die Schulter. Rucker Bont war hinter ihm, nur wenige Schritte entfernt, und sein Gesicht war bleich vor Schreck, ein Spiegel seines eigenen. Die Eidechse donnerte grün und braun gesprenkelt und mit weit aufgerissenem Maul direkt hinter ihm her.
»Kapitän!«, schrie Bont in höchster Panik.
Alt Mer hörte sein Gebrüll. Die Eidechse hatte ihn erwischt, und Schreie und Geräusche verfolgten den Kapitän der Fahrenden, während er weiter flüchtete.
Schatten! Schatten! Er wagte nicht, sich umzusehen. Das hätte er nicht ertragen. So rannte er und rannte und ließ keine anderen Gefühle mehr zu außer seiner Angst. Die Angst trieb ihn an. Die Angst beherrschte ihn.
Schließlich erreichte er die Felswand und stieg eilig hinauf, wobei er die scharfen Grate der Steine und das raue Seil kaum spürte. Die Kristalle und Jahnons Leiche waren vergessen. Alle Hoffnungen, bald wieder von hier verschwinden zu können, waren zunichte. Unten im Tal lagen die Leichen seiner Gefährten. Die Waffen hatte er einfach weggeworfen. Doch daran verschwendete er keinen Gedanken. Dazu war er schlicht nicht in der Lage. Sein ganzes Handeln war von dem verzweifelten Drang zur Flucht bestimmt - weniger vor dem, was ihn verfolgte, sondern vor dem, was er in sich fühlte. Seine Angst. Sein Entsetzen. Wenn er nicht schnell genug floh, das wusste er, wenn er nicht schnell genug rannte, würde er im Schlund dieses Monstrums enden.
Nach endlosen Minuten des Kletterns erreichte er im schwindenden Nachmittagslicht, während der Dunst dichter wurde und der Einbruch der Nacht bevorstand, den Hang oberhalb der Felswand. Er wagte noch immer keinen Blick zurück, und erst, als Spanner Frew ihm die großen Hände entgegenstreckte und ihn über die Kante zog, begriff er, wie still es geworden war.
Erstaunt schaute er sich um. Hinter ihm war nichts, kein Zeichen der Rieseneidechse war zu sehen, keine Spur von dem, was geschehen war. Nichts rührte sich, nichts
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