Shannara VIII
gelegentlich von den Vögeln oder dem Summen der Insekten gestört wurde. In den stillen Perioden dazwischen stellte sich ein Gefühl der Erwartung ein, als würden alle auf das nächste Geräusch oder die nächste Bewegung warten. Sie fühlten sich beobachtet, und zwar von Wesen, die sie selbst nicht sehen konnten, von Augen, die ihnen überallhin folgten.
Nach kurzer Zeit hielten sie an, und der Große Rote las seinen Kompass ab. In diesem Wald konnte man allzu leicht die Orientierung verlieren, und so weit wollte er es nicht kommen lassen. Er hatte nur eine vage Vorstellung, wo er die Suche nach Jahnons Leiche und den verschollenen Diapsonkristallen aufnehmen sollte, daher mussten sie sich ungefähr in dieser Richtung halten und sich auf ihr Glück verlassen.
Er starrte in den Dunst und dachte einen Moment über die Richtung nach, die sein Leben eingeschlagen hatte. Eigentlich hätte ihm in dieser Hinsicht ein Blick auf den Kompass auch nicht schaden können. Im besten Fall schlingerte er und kurvte erst in die eine und dann in die andere Richtung wie ein Schiff, das kein festes Ziel hat. Er brauchte sich keine Sorgen zu machen, sich hier unten zu verirren, während er so planlos durch sein Leben irrte. Vielleicht hätte er gegen diese Erkenntnis Einwände erheben können - was er nicht selten auch tat -, doch änderte sich dadurch nichts an der Wahrheit. Sein Leben hatte, solange er sich erinnern konnte, aus einer Abfolge von tollkühnen Abenteuern bestanden. Rue hatte Recht gehabt, was ihr Dasein als Söldner betraf. Meistens hatten sie sich nach der Größe der Prise gerichtet, die man ihnen anbot. Jetzt hatten sie zum ersten Mal angeheuert, weil sie glaubten, dass mehr als Geld auf dem Spiel stand.
Und welchen Unterschied machte das aus? Weiterhin kämpften sie um ihr Leben, weiterhin trieben sie dahin wie ein Schiff ohne Segel und irrten durch die große weite Welt.
Ob die Kleine Rote nun glaubte, diese Reise habe sich gelohnt?
Er nahm an, dass er ihretwegen über sein eigenes Leben nachdachte. In den vergangenen zwei Wochen war sie zweimal schwer verwundet worden, und beide Male hätte sie beinahe mit dem Leben bezahlt. Es war schon schlimm genug, wenn er sein Leben so freimütig riskierte; da sollte er sich ein wenig zurückhalten, wenn er ihres in Gefahr brachte. Natürlich war sie eine erwachsene Frau und konnte selbst entscheiden, ob sie ein Wagnis eingehen wollte oder nicht. Doch wusste er, wie sehr sie zu ihm aufschaute, ihm nacheiferte und unerschütterlich an ihn glaubte. So war es stets gewesen. Ob es ihm nun passte oder nicht, damit fiel ihm eine gewisse Verantwortung für ihre Sicherheit zu. Vielleicht war es an der Zeit, dieser Verantwortung ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Leute sagten, sie hätten das Glück gepachtet. Aber früher oder später verließ jeden einmal das Glück. Das Schicksal würde nicht ewig auf seiner Seite stehen. Und wenn dieser Fall eintraf, würde er bezahlen müssen. Oder schlimmer, Rue.
Sie setzten den Marsch fort, schlugen sich durch den Dschungel und hatten kaum zweihundert Meter hinter sich gebracht, da erspähte Tian Cross die Holzkiste mit den Kristallen, die in einem tiefen Loch lag, das offensichtlich durch den Aufprall in den Boden gedrückt worden war. Erstaunlicherweise war die Kiste im Großen und Ganzen heil geblieben, wenn auch ein wenig lädiert; Nägel und Beschläge hatten sie anscheinend zusammengehalten, so dass sie den Sturz aus dieser Höhe überstanden hatte.
Der Große Rote beugte sich vor und untersuchte sie. Die Kanten der Kiste maßen ungefähr fünfundsiebzig Zentimeter, und sie wog insgesamt fast zweihundert Pfund. Ein kräftiger Mann konnte sie tragen, allerdings nicht sehr weit. Redden Alt Mer überlegte, ob er einfach mehrere Kristalle herausnehmen und sie in seine Taschen stecken sollte. Doch sie waren schwer und unhandlich. Außerdem wollte er sie alle bergen, nicht nur einige. Zwar würde es länger dauern, die gesamte Kiste nach oben zu schleppen und zu hieven, doch schließlich gab es keinen Anlass zu der Annahme, im Verlauf der Heimreise würden nicht weitere Ersatzkristalle gebraucht.
Also stand er auf, zog den Kompass hervor und las ihn erneut ab.
»Kapitän«, rief ihm Rucker Bont zu.
Er blickte auf. Der große Fahrende zeigte nach vorn. Dort befand sich ein deutliches Loch im Dschungel, Bäume und Unterholz fehlten, und durch den Baldachin oben flutete von Dunst gefiltertes Licht herab. Es
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