SHANNICE STARR (German Edition)
war eine unüberwindliche Armee, gegen die es keine Gegenwehr gab. Welch qualvolles Ende mussten diejenigen genommen haben, von denen nur noch blanke Knochen zeugten …?
Eine Flucht in die entgegengesetzte Richtung schied von vorneherein aus. Die Fallgrube war zu lang, um über sie hinwegspringen zu können. Und ein Sprung in die Tiefe hätte Shannice unweigerlich getötet.
Hilflos stand sie da – und der Tod starrte ihr hämisch grinsend ins Gesicht!
Schweigend und in sich gekehrt saß Reverend Morgan Troy an einem kleinen Holzpult in seiner Schlafkammer gleich neben der Sakristei und stierte blicklos in ein Buch. Es war Nachmittag, und die Sonne hatte sich durch die grauen Wolken gearbeitet. Doch der Geistliche hatte die Vorhänge zugezogen und hockte im milden Dämmerschein seines kargen Gemachs. Lange schon registrierte er die Worte und Buchstaben vor sich nicht mehr, sondern sah nur einen verschwommenen Brei, der sich zu Bildern und Eindrücken einer Vergangenheit verdichtete, die ihm weit entfernt schien und doch so nah war.
»Ich ertrage die Demütigungen, die du mir zufügst, im Angesicht des Herrn aufrecht und ohne Klage. Doch wisse, Morgan, dass du die Konsequenzen am eigenen Leibe erdulden musst. Stehe ein für deine Taten, und sei dem Herrn gefällig.«
Sechzehn Lenze zählte Morgan Troy nun, und er vermochte nicht zu sagen, ob es einen Monat, eine Woche oder auch nur einen Tag gegeben hatte, an dem er von seinem Pflegevater nicht gezüchtigt worden war.
»Den Messwein habe ich nicht mit Absicht verschüttet«, versuchte er sich zu verteidigen. »Es war ein Missgeschick.«
»Es war das Blut Christi, das du vergossen hast«, wandte der Mann in der Priesterrobe ein. »Ob vorsätzlich oder unabsichtlich geschehen – diese Tat muss gesühnt werden. In Zukunft wirst du vorsichtiger sein und deine Handlungen besser überdenken. Aber ich verlange von dir, dass du deinen Fehler einsiehst und bereust. Anders kannst du die Lektionen nicht erlernen, die das Leben für dich bereithält.«
Die großen, kräftigen Hände seines Pflegevaters rissen Morgan Troy das Hemd von den Schultern. Dann ergriffen sie die Geißel, die aus sieben Lederriemen bestand und an jedem Ende verknotet war. Zur Beschwerung waren kleine Metallkugeln angebracht.
»Niemals mehr will ich so unbedacht handeln!«, stieß Morgan Troy hervor. »Bitte, tu das nicht!«
Die Reaktion des Priesters kam nicht überraschend und war bezeichnend für seine Erziehung. Troy hatte sie oft genug erlebt. Jedoch hatte er jedes einzelne Mal die Hoffnung gehabt, den christlichen Zorn abzuwenden. Jedes Mal aber war diese Hoffnung enttäuscht worden.
»Wie sollst du ein nützlicher Diener des Herrn werden, wenn ich dir nicht den Weg weise? Wie kannst du den rechten Weg finden, wenn dich niemand dorthin führt?« Der Priester machte eine Pause und brach nach einigen endlosen Sekunden das zermürbende Schweigen. »Lehne dich vor an die Wand, Morgan.«
Der Junge tat, wie ihm geheißen wurde. Seine Arme zitterten, denn er kannte die höllischen Schmerzen, die ihm die Geißel zufügen würde. Hinter seinem Rücken hörte er, wie die Peitsche durch die Luft wippte. Seine Anspannung wuchs. Mit jedem Lidschlag erwartete er das Aufprallen der kleinen Metallkugeln, die sein Fleisch aufplatzen lassen würden. Und mit jedem Atemzug, der verging, ohne dass das Erwartete eintraf, wurde der Junge unruhiger und fühlte die Kraft seiner Muskeln schwinden.
»Tue Buße, Sohn! Und bedenke, dass jeder Schlag gegen deinen Leib auch ein Schlag gegen den meinen ist …«
Die Geißel klatschte auf Morgan Troys Rücken, zog blutige Striemen und riss Löcher in die Haut. Alte Wunden öffneten sich, und nach zwei weiteren Hieben war der Rücken des Jungen übersät von Blut und Fleischfetzen. Nach dem vierten Schlag glaubte er, den nächsten nicht zu überleben. Er schwankte zwischen Wachsein und Ohnmacht. Doch da war noch ein Funken Widerstand in ihm, ein Rest Selbsterhaltungstrieb. Er sagte ihm, dass es nicht richtig sein konnte, im Namen Gottes bestraft zu werden. Die Auflehnung war gleich einem Stachel, der sich in seinen Geist bohrte und ihn unnachgiebig drängte, der Qual ein Ende zu machen.
Morgan Troys Muskeln spannten sich an. Woher er die Stärke nahm, nicht auf der Stelle zusammenzubrechen, war ein Mysterium, das er nicht ergründen konnte. Aber sie war da, flehte förmlich, sie einzusetzen, bevor sie sich verflüchtigen konnte.
»Nein!« Morgan Troy
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