SHANNICE STARR (German Edition)
Insektenstrom über sie hinweg! Die kräftigen Scheren der Ameisenlöwen ritzten ihre Hände und verbissen sich im Stoff ihres Mantels. Kleine, gepanzerte Körper fielen von der Decke auf sie herab, sodass die Cheyenne bald von einer zweiten Haut aus Chitinleibern überzogen war. Die riesigen Insekten krabbelten mit flinken Füßen über ihren Rücken, die Arme und Beine, krochen in ihre Haare, waren an ihren Ohren, dem Mund und der Nase. Es gehörte eine unglaubliche Willensanstrengung dazu, nicht reflexartig um sich zu schlagen, das Krabbeln und Beißen zu ignorieren und sich konzentriert auf das Ende der Grube zuzuhangeln.
Noch einen Meter!, zuckte es durch ihre Gedanken. Aber nicht für den Bruchteil einer Sekunde war sie sicher, diese lächerliche Entfernung auch überwinden zu können. Der Drang, die lästigen Biester abzuschütteln, auch wenn es Shannices Tod bedeutet hätte, wurde stetig stärker.
Der Stollen verjüngte sich ein wenig. Shannices Halt wurde stabiler. Dafür wurde das Treiben der Insekten immer unerträglicher. Sie krabbelten unter ihre Kleidung und über ihre nackte Haut, schienen an jeder Stelle ihres Körpers zu sein und sie zu zwicken, zu stechen und zu schlitzen.
Ich halte das nicht mehr aus! Der Gedanke war ein Schrei höchster Verzweiflung. Shannice hob eine Hand und wischte über ihr Gesicht, die Brust, den Bauch und die Hüften. Nicht länger als zwei Sekunden hatte sie dafür gebraucht – doch das war mehr als genügend Zeit, um sie das Gleichgewicht verlieren zu lassen. Sie kippte kopfüber nach unten weg; das rechte Bein verlor den Kontakt zur Wand. Aufschreiend stürzte sie hinab, schlug mit dem Brustkorb auf die äußerste Kante der Fallgrube und schaffte es gerade noch, in ihrer Panik die Finger in den Boden zu krallen und den Sturz in die Tiefe zu verhindern. An einem Arm nur baumelte sie über den zugespitzten Pflöcken, wehrte mit der freien Hand die Attacken der Ameisenlöwen ab und schaffte es für den Augenblick, sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte festzuhalten. Irgendwie gelang es Shannice, ihren panikerfüllten Verstand von der Bedrohung durch die Insekten abzulenken, die Finger der zweiten Hand in den Erdboden zu graben und sich langsam an der Grubenkante hochzuziehen. Sie hatte das Gefühl, bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden, doch ihre Zähigkeit gewann die Oberhand. Und als sie mit einem übermenschlichen Kraftakt den Oberkörper vorstieß und festen, sicheren Grund unter sich fühlte, dauerte es nur wenige Lidschläge, bis sie hektisch zu strampeln begann und nach allem schlug, was über sie hinwegkrabbelte. Dicke Insekten zerrte sie aus ihren Haaren und zerquetschte die Leiber unter der Kleidung mit Hieben ihrer flachen Hand. Shannice kam trotzdem nicht umhin, sich Mantel, Hose und Hemd herunterzureißen, die Insekten abzustreifen, die sich bereits festgebissen hatten, und so viele der Ameisenlöwen wie möglich zu zerdrücken. Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als erneut Reißaus zu nehmen und wieder einmal, ihr Bündel unter den Arm geklemmt, nackt durch den Stollen zu hetzen.
Nur wenige der gefräßigen kleinen Ungeheuer folgten ihr noch; die Masse zog sich in die Löcher der Höhlenwände zurück, um neuen Opfern aufzulauern. Shannice hockte sich hin, als keine Gefahr mehr drohte, und schöpfte neuen Atem. Sie betrachtete die Wunden an ihrem Körper, stellte aber fest, dass es nur Kratzer waren. Angeekelt schüttelte sie die toten Insekten aus ihrer Kleidung und schabte die zerquetschten Leiber ab. Danach zog sie sich an.
Da habe ich wohl genau den falschen Stollen erwischt, sagte sie sich. Mein Bedarf an Überraschungen ist gedeckt. Ich kann nur hoffen, dass ich schnell hier herauskomme.
Ein paar zaghafte Schritte trat Shannice zurück. Es ging also nur voraus. Ein weiteres Mal würde sie wohl nicht das unverschämte Glück haben, der Pfahlfalle und den Insekten zu entgehen. Außerdem wartete irgendwo dort draußen Slaine, der Schlächter.
Kurze Zeit stand sie wie vom Donner gerührt vor einer Wand, an der der Tunnel urplötzlich endete. Allerdings war es kein natürliches Hindernis, sondern eine glatt bearbeitete Wand, in die ein steinernes Tor von etwa einem Meter Breite eingelassen war. Dieses Tor schien sich weder nach innen drücken noch nach außen aufziehen zu lassen. Vielmehr wurde es von oben herabgelassen. Und der Letzte, der es passiert hatte, hatte es nicht vollständig geschlossen. Ein schmaler Spalt zeigte sich am
Weitere Kostenlose Bücher