SHANNICE STARR (German Edition)
auf den Erschossenen zu. Eine Weile betrachtete er Jorge, bevor er seinen Säbel zog und die Klinge zwei Handbreit über dessen Kehle verharren ließ.
Im Saloon war es totenstill geworden. Alle schienen die Luft anzuhalten, und keiner traute sich, den mysteriösen Fremden aufzuhalten.
Ein Ruck lief durch Dylan Slaines linken Arm – und mit einer einzigen Bewegung trennte er dem Mexikaner den Kopf vom Hals. Der Schädel kullerte ein Stück zur Seite; aus dem Halsstumpf sickerte das Blut. Schreie des Entsetzens wurden laut. Gebannt starrten die Umstehenden auf die stetig größer werdende rote Lache, die die Holzbohlen tränkte.
»Was für ein Teufel ist das?«, keuchte jemand aus dem Kreis der gebannt Dastehenden.
»Warum tut denn niemand etwas?«, erregte sich ein anderer.
»Bleibt schön, wo ihr seid«, ließ Slaine sich zu einer Erwiderung herab, »dann werdet ihr verschont. Zumindest für den heutigen Tag.« Er holte mit dem Säbel aus und machte einen kraftvollen Hieb, um das Blut von der Klinge zu schleudern. »Wer weiß«, fuhr er fort, »vielleicht komme ich euch demnächst in weniger erfreulicher Absicht besuchen …«
Das Poltern seiner Stiefelabsätze hallte im Saloon nach, als der Schlächter die Tür durchstieß und in die Nacht eintauchte.
Er hatte seinen Ziehvater hart geschlagen. Härter, als er es jemals für möglich gehalten hätte. Ausgerechnet jenen Mann, den er so gerne ›Dad‹ genannt hätte, der es ihm jedoch verboten hatte. Erstmals hatte sich Morgan Troy gegen den unerbittlichen Geistlichen, der das Wort Gottes auf seine eigene, selbstgerechte Art auslegte, aufgelehnt. Und von diesem Tage an war er niemals mehr bestraft worden. Niemals wieder hatte sein unfreiwilliger ›Vater‹ ihn angerührt, um ihm sein Fehlverhalten auszuprügeln. Aber auch niemals mehr hatte er auch nur ein Wort mit ihm gesprochen. Manchmal hatte der junge Morgan Troy sich die harte Hand des Reverends zurückgewünscht, denn die Nichtbeachtung, die ihm zuteil wurde, war fast schlimmer als jene Zuwendung, die ihm in Form der Bestrafung zugekommen war.
Schweigen war das einzige Band, das sie beide noch verbunden hatte. Bis zu jenem dunklen Tag, da Troy seinen Pflegevater in dessen Kammer vorgefunden hatte, die Füße einen knappen Meter über dem Grund baumelnd, daneben ein umgestürzter Stuhl. Ein grober Strick hatte sein Genick gebrochen. Doch selbst im Tod hatte dieser Mann keinen Frieden gefunden. Sein Gesicht war Ausdruck eines entbehrungsreichen Lebens und ständiger Selbstzüchtigung – und es brannte sich Morgan Troy unauslöschlich ins Gedächtnis. Nur kurz hatte er Trauer empfunden, dann obsiegte das tief empfundene Gefühl der Befreiung. Doch auch dieses war nur von kurzer Dauer, denn vergeben konnte er dem alten Mann nicht. Und so lange das nicht geschah, würde er niemals wirklich frei sein.
So verfolgte ihn die kalte, starre Miene des Gottesmannes bis zum heutigen Tage …
»He! – Wachen Sie auf, Reverend!« Heftig rüttelte Shannice den Geistlichen Morgan Troy an den Schultern. Sofort schrak er hoch und richtete sich auf.
»Was ist passiert?«, platzte es aus ihm heraus.
»Sagen Sie es mir«, meinte Shannice. »Sie müssen einen ziemlich üblen Traum gehabt haben.«
»Ein Traum«, murmelte er undeutlich, »ja, das war es. Immer derselbe Traum …« Versonnen blickte er in unerreichbare Fernen.
»Es ist noch früh«, gab Shannice zu verstehen. »Legen Sie sich wieder hin. Die Sonne geht erst in zwei Stunden auf.«
»Ich bin wach. Und Sie sind es auch. Je früher wir uns auf den Weg machen, umso größer sind unsere Chancen, Conaghans Privatarmee zu umgehen.«
Shannice Starr bekam große Augen.
»Armee?«, zog sie das Wort unnatürlich in die Länge. »Von welcher Armee sprechen Sie da?«
»Auch eine Information, die ich erhalten habe«, erklärte Troy. »Die Ranch ist nach allen Seiten gesichert. Dort lauern Dutzende Männer, alle bis an die Zähne bewaffnet.«
»Wann hatten Sie vor, mir davon zu berichten?«, regte sich Shannice auf. »Wir zwei haben nicht den Hauch einer Chance gegen ein derartiges Aufgebot!«
»Im Schutz der Nacht schalten wir einen Posten nach dem anderen aus«, teilte der Reverend mit. »Als Letztes knöpfen wir uns Conaghan vor.«
»Das ist Irrsinn!«, schimpfte Shannice. »Haben Sie keinen Verstand? Selbst jetzt ist es uns nur mit Mühe gelungen, vor der Bande Reißaus zu nehmen. Und das waren nur vier. Jetzt aber wollen Sie es mit einer
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