SHANNICE STARR (German Edition)
Laufs.
Wieder vergingen lange Augenblicke. Augenblicke, in denen der starre, ausdruckslose Blick des Mannes jede Unebenheit ihres Gesichtes zu sezieren schien, bevor er sich vorbeugte und seine Lippen an ihr Ohr führte. In den geflüsterten Worten schwang keinerlei Regung mit.
»Jemand versprach mir zehntausend Dollar, wenn ich dich finde. Jemand, den du gut kennst, Shannice.«
Ein dunkler Schatten legte sich über das Gesicht der Frau. Sie wusste nur zu genau, von wem der Fremde sprach. Und er kannte ihren Namen. Aber wie hatte er sie finden können? War sie tatsächlich zu sorglos gewesen?
Sie versuchte, die aufkeimende Furcht zu unterdrücken, wollte den eisigen Augen des Mannes nicht ausweichen … Doch ihr fehlte einfach die Kraft. Und an den nur ansatzweise zu einem ironischen Lächeln verzogenen Mundwinkeln ihres Gegenübers erkannte die junge Frau, dass sie längst durchschaut worden war. Aber mittlerweile war es ihr egal. Der anfangs gefasste Entschluss zur bedingungslosen Gegenwehr schwand mit jeder Sekunde, in der der Winter mehr Macht über ihren Körper gewann. Plötzlich waren Begriffe wie Stolz und Ehre nicht mehr wichtig.
»Wenn du mich töten musst, dann tue es«, kam es heiser über ihre aufgesprungenen Lippen. »Besser ein schneller Tod, als in dieser Kälte elend verrecken …«
Der Headhunter verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Einen Moment lang schien er diese Möglichkeit tatsächlich in Erwägung zu ziehen. Dann schüttelte er mit einer kaum sichtbaren Bewegung den Kopf.
»Tot bringst du mir nichts.«
Zwei unnachgiebige Fäuste gruben sich in das Revers des Mantels, rissen die Frau auf die Beine, als hätte sie kein Gewicht.
»Du reitest hinter mir auf dem Pferd. Mach keine Dummheiten! Wir haben einen weiten Weg vor uns. Besser, wenn du lebend unser Ziel erreichst.« Er verhielt, bis er abschließend hinzufügte: »Du musst Cassidy ziemlich in die Eier getreten haben.«
Es war das erste und zugleich das vorletzte Mal, dass die Frau in diesem verschlossenen Gesicht den Anflug von Humor zu erkennen vermeinte.
Cassidy!, hämmerte es in ihrem Schädel. Douglas Cassidy!
Innerlich hatte sie gehofft, diesen Namen nie wieder zu hören. Nie wieder an ihn zu denken. Und jetzt war der einzige Mann, den sie jemals wirklich geliebt hatte, in ihr Leben zurückgekehrt. Allerdings als Scharfrichter.
Ihr wurde schwindelig. Die Schneeflocken verschwammen vor ihrem glasigen Blick. Ohne es bewusst wahrzunehmen, wurde sie von dem Mann in den Sattel gehoben. Sie kippte nach vorne und lehnte wie schlaftrunken am Rücken des Reiters. Ihre Lider senkten sich. Erschöpft fiel sie in das Dunkel traumlosen Schlafs …
Der Schnee glitzerte tückisch im blassweißen Licht des Mondes. Ebenso, wie dieser Anblick romantisch und malerisch wirkte, barg er auch Gefahren. Denn der Winter war rau und unbarmherzig. Wie das Land und die Menschen, die dort lebten. Viele hatten diese Einsicht mit dem Leben bezahlen müssen. Viele andere würden es noch tun.
Shannice Starr und der Kopfgeldjäger saßen sich an einem kargen Lagerfeuer gegenüber. Er wollte die junge Frau immer im Blick haben und hatte sich daher mit dem Rücken zum Mond gesetzt, auch, um nicht dem blendenden Licht ausgesetzt zu sein. Das Schießeisen hatte er ihr abgenommen.
Mit unbewegter Miene beobachtete er, wie seine Gefangene die Bohnensuppe in dem Blechtopf umrührte, der an einer selbst gebastelten Dreibeinkonstruktion über den langsam ersterbenden Flammen baumelte.
»Iss noch was«, zerschnitt die Stimme des Headhunters die Stille, obwohl er nicht laut gesprochen hatte. »Wenn das Feuer erloschen ist, wird das Stew sehr schnell kalt.« Als er sah, dass Shannice sich noch ein wenig auf ihren Teller häufte, fügte er hinzu: »Ich denke, du weißt, wovon ich rede. Wärst fast selber in dieser Hölle krepiert.«
Sie nickte flüchtig, machte ein paar Kaubewegungen und sog scharf die Luft ein. Die Mahlzeit war noch recht heiß.
»Wie ist Ihr Name?«, fragte Shannice unvermittelt. »Darf ich ihn wissen …?« Sie kaute mit offenem Mund weiter.
»Dread«, antwortete der Mann. »Josh Dread.«
»Nie gehört.«
»Weil alle, die ihn kannten, bereits auf dem Boothill liegen …« Dread fixierte die Frau wie eine Schlange ihre Beute. »Möchtest du sonst noch was wissen, Mädchen?«
Shannice schüttelte den Kopf.
»Dann darf ich dir vielleicht eine Frage stellen … Was ist deine Geschichte? Wie kann man in deinem Alter schon so
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