SHANNICE STARR (German Edition)
hatte.
Wer die Schuld hatte, war dabei nicht ausschlaggebend, denn wer würde ihr jetzt noch glauben?
Ihrem Douglas hatte sie deutlich zu verstehen gegeben, was sie von dessen Freund › Dutch ‹ hielt. Und der wiederum kannte das Temperament seiner Shannice. Die Wahrheit war das letzte, was ihn überzeugen würde.
Nein, sie musste fort! Jede Stunde zählte.
Wenn Doug sich gegen sie stellte, hatte sie auch den Rest der Stadt am Hals. Und die alte Geschichte mit Howlin’ Jeremiah würde man ihr zusätzlich anlasten.
Man würde sie hängen. Das stand außer Frage.
Sie betätigte die Pumpe und hielt den Kopf unter das fließende, kalte Wasser. Dann warf sie das nasse Haar zurück und ließ das abtropfende Nass erfrischend über ihre Haut rinnen. Dabei säuberte sie auch die letzten blutbefleckten Stellen.
Der warme Nachtwind strich lindernd über ihren nackten Leib. Unter ihren Fußsohlen spürte Shannice den allmählich auskühlenden Sand. Ein wunderbares Gefühl …
Schließlich verhärteten sich ihre Züge. Für Sentimentalitäten würde sie andernorts noch genug Zeit haben.
»Dieser räudige Holländer«, kam es knirschend zwischen ihren Zähnen hervor. Barfuß ging sie zurück zum Haus. »Genieße deine Zeit allein in der Hölle, Johnson. Irgendwann treffen wir uns dort wieder …«
2
Jäger und Gejagte
Nebraska, Winter 1887 – Gegenwart
Der Reiter zeichnete sich undeutlich gegen die wirbelnden Schneeflocken ab. Er war ein dunkel verschwommener Schemen, der sich zwar bewegte, aber auf seltsam groteske Weise nicht näher zu kommen schien.
Die junge Frau betrachtete den Vorgang zwischen halb erfrorenen Lidern. Erschöpft ließ sie sich zurückfallen auf den Bauch ihres toten Pferdes. Der Leib war noch warm. Doch durch die klirrende Kälte der Luft und den dicken Pelzmantel spürte sie es nicht. Nur ein einziger Gedanke pochte unnachgiebig in ihrem Kopf, als sie den düsteren Jäger durch das Schneetreiben beobachtete: Sie würde es ihm nicht leicht machen!
Instinktiv tasteten die geröteten Finger ihrer Rechten nach dem Remington. Die Hand der Frau fühlte sich fast taub an, und das kalte Metall verstärkte den Eindruck noch.
Es war fraglich, ob sie den Hahn spannen und den Abzug würde durchziehen können, wenn es hart auf hart kam. Trotzdem verlieh ihr die Berührung der Waffe ein sonderbares Gefühl von Sicherheit.
Das Schneegestöber verdichtete sich. Und – es war mehr als eigenartig – der dunkle Reiter kam zügig heran. Die Bewegung war deutlich auszumachen. Nicht wie noch kurz zuvor, als es ihr schwer gefallen war, eine solche zu erkennen. Nein – jetzt war es eindeutig!
Fest krampfte sich ihre Hand um den Griff des Revolvers, schmiegte sich ihr Zeigefinger um den Abzug.
Doch welche Chance hatte sie wirklich? Vielleicht war es besser, wenn sie sich tot stellte. In ihrer jetzigen Verfassung durfte sich die ausgemergelte, junge Frau auf keinen Kampf einlassen. Wenn die Kälte des Winters nicht ihr Tod war, dann mit Sicherheit eine Kugel ihres Widersachers.
Was sollte sie tun?
Sie schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, stand der Fremde direkt vor ihr.
Innerlich schrak die Frau zusammen, während ihr unterkühlter Körper zu einer derartigen Reaktion nicht mehr fähig war.
Wie durch dichte Nebelschwaden nahm sie wahr, dass sich jemand neben sie hockte. Ihre Wimpern waren vereist, und doch erkannte sie unter großer Anstrengung das Gesicht, das sich dem ihren näherte, und spürte den Atem auf ihrer Haut.
Behandschuhte Finger streichelten ihre Wange. Durch das Tuch, das sie um ihren Kopf geschlungen hatte, ahnte sie die Berührung mehr, als dass sie sie spürte. Bis die Hand ihr den Hut und das Tuch vom Kopf streifte und feingliedrige, sensible Finger durch ihr langes, dunkelblondes Haar strichen.
Trotz aller Widrigkeiten spürte sie ein Gefühl von Wärme in sich aufsteigen. War es Einbildung? Eine trügerische Illusion? Eine unartikulierte Hoffnung vor dem unweigerlichen Ende?
»Du bist schön«, sagte die Stimme des Mannes mit unverkennbarem Südstaatenakzent. »Obwohl du fast schon tot bist.«
Er schwieg einige Sekunden. Dabei hatte die Frau Gelegenheit, in seine Augen zu schauen. Sie waren eisblau, kalt und gnadenlos. Wie der Winter in Nebraska.
»… zu schön zum Sterben«, fügte der Fremde mit melancholischem Unterton hinzu.
»Was hast du mit mir vor …?«, keuchte die Frau wie unter der Anstrengung eines meilenweiten
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