SHANNICE STARR (German Edition)
sich nach hinten fallen. Johnsons Antlitz war ein grässlich entstelltes Schaubild sinnloser, orgiastischer Zerstörung. In seinem Hinterkopf prangte ein Loch von der Größe einer Kinderfaust. Von den Rändern perlten Blut und Hirnmasse.
Halb liegend jagte Shannice auch die letzte Kugel aus dem Lauf und traf die grauenerregende Ruine, die einmal ein menschliches Gesicht gewesen war.
Ihr Körper entspannte sich.
Vorbei … es ist vorbei …
Aufatmend sank sie zu Boden, spreizte ihre Gliedmaßen vom Körper ab und gab sich ganz ihren Schmerzen hin, die nun die Oberhand gewannen. Doch was konnten die Schmerzen ihr schon anhaben? Was waren sie im Vergleich zu dem berauschenden Gefühl vollendeter Rache?
Klein und erbärmlich …, gab sie sich selber die Antwort.
Mit demselben atemzug legte sich die lange hinausgezögerte Ohnmacht über die junge Frau …
Vor Stunden schon hatte sich die Nacht über das Land gesenkt, als Shannice Starr wie aus einem schlimmen Traum schweißgebadet erwachte. Abrupt schnellte sie von den Dielen hoch und glaubte noch im selben Moment, dass ihr sämtliche Muskelstränge rissen. Ihr Körper schien eine einzige, pochende Wunde zu sein. Mühsam stemmte sie sich hoch. Im Dunkeln tastete sie sich durch den Raum, stieg, immer einen Fuß vorsetzend und den anderen nachziehend, Stufe für Stufe die Holztreppe hoch ins Waschzimmer. Auf einer schmalen Anrichte stand ein Trog, daneben eine Kerze mit Zündhölzern. Als das Licht aufflammte und das Bad mit einem milden Schimmer erfüllte, warf Shannice einen ersten Blick in den Spiegel.
Sie erschrak.
Die linke Gesichtshälfte war verquollen, Stirn und Wangenknochen bedrohlich angeschwollen. Verkrustetes Blut entstellte Mund- und Kinnpartie.
Was für ein hübsches Girlie, dachte Shannice bitter-ironisch.
Müde und ausgelaugt streifte sie ihr Hemd ab. Auf ihrem nackten Oberkörper war das Blut lange geronnen und verkrustet. Genauer nahm sie die Schusswunde an ihrer linken Schulter unter die Lupe. Die Kugel war schräg von unten aus eingedrungen, hatte sich ihren Weg durch das Muskelgewebe gebahnt und war dann stecken geblieben.
Shannices Fingerkuppen tasteten über die Stelle an der rückwärtigen Seite ihrer Schulter, an der die Haut sich wölbte und aufgerissen war, jedoch das Bleigeschoss nicht mehr freigegeben hatte. Wie die dunkle Nasenspitze eines Otters lugte es aus Shannices Fleisch hervor. Sie drückte darauf und stand da wie elektrisiert. Es war nicht der kurze, stechende Schmerz, der ihr zusetzte, sondern eher das ungewohnte, ja, irgendwie abstoßende Gefühl, dass sich ein Fremdkörper durch sie hindurchgefressen hatte und noch immer wie ein hungriger Parasit in der Wundöffnung kauerte.
Shannice drehte sich mit dem Rücken zum Spiegel, sodass sie die Verletzung direkt im Blick hatte.
Jetzt oder nie!, biss sie die Zähne zusammen.
Der Zeigefinger schob sich ein kleines Stück in das rohe Fleisch hinein und unter das Metall. Es tat höllisch weh. Gleichzeitig senkte sie den Daumen. Als sie meinte, das Blei gepackt zu haben, zog sie es ruckartig heraus.
»Da haben wir dich ja …«, ächzte das Mädchen erleichtert und wischte sich mit dem Rücken der anderen Hand den Schweiß aus der Stirn. Behutsam wusch sie sich mit dem Wasser aus der Porzellanschüssel das Gesicht und den Oberkörper. Am Brunnen hinter dem Haus würde sie die letzten Spuren des grausamen Kampfes abspülen. Sie zog sich vollständig aus und ging nach draußen. Danach würde sie sich verarzten.
Zu einem Doktor konnte sie nicht gehen.
In der Stadt würde sie sich nicht mehr sehen lassen können.
Und spätestens in zwei Tagen kehrte Douglas zurück.
Ihn aber würde sie niemals wiedersehen dürfen …!
Splitternackt wie sie war, stützte das Mädchen sich am Brunnenrand ab und versuchte dieses anderen, nicht körperlichen Schmerzes Herr zu werden.
Ein Kampf, den sie nicht gewinnen konnte.
Heiß liefen Shannice die Tränen über die Wangen.
Don ›Dutch‹ Johnson! Du gottverdammtes Stück Scheiße!
Er hatte alles zerstört, was Shannice Starr jemals für lebenswert erachtet hatte. Ein eigenes Heim. Respekt. Anerkennung. Und einen wundervollen Menschen, den sie von ganzem Herzen liebte.
Ich will dich nicht verlieren, Douglas!, schrie es in ihrem Kopf unter höchster Pein auf. Doch ihr war auch klar, dass alles Jammern und Flehen ihn nicht zu ihr zurückbringen würde.
Er würde ihr niemals verzeihen, was sich in seinem Haus zugetragen
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