SHANNICE STARR (German Edition)
beschlossene Sache.«
»Sie war grausam zugerichtet«, erklärte Bligh. »Der Mayor hatte sich eine Strangulation vorgestellt. Nun ja, etwas, das weniger blutig gewesen wäre. Die Verstümmelung der Norrington hat in ihm einen Schock ausgelöst …«
»… der ihn ironischerweise selbst ans Messer geliefert hat«, vollendete Shannice.
»Allein das hätte für den Strick ausgereicht. Aber da ist noch mehr …« Stephen Bligh zögerte einen Moment, als müsste er sich überwinden, die schreckliche Wahrheit auszusprechen. »Etherwood ging gewissen Neigungen nach, die für uns unverständlich, ja, geradezu krank sind. Er fühlte sich auf perverse Weise zu Kindern hingezogen …«
Shannices Augen blitzten auf.
»Jeremy Gilliam …«, flüsterte sie.
»Der Mayor hat eine kleine Hütte ein Stück außerhalb der Town. Wir wissen nicht, unter welchen Umständen er den Jungen dorthin gelockt hat, doch nachdem er sich an Jeremy vergangen hatte, ist dieser geflüchtet. Wie die Sache ausging, ist Ihnen hinlänglich bekannt …«
»Etherwood ist kein Mann, der zu einem Mord fähig wäre«, meinte Shannice. »Er muss einen Helfer gehabt haben. Einen Mann, der für ihn die Drecksarbeit erledigt.«
»Einen Mann«, führte der Marshal fort, »der ebenfalls eine Horde Halsabschneider und Schießer angeheuert hat. Diese Leute sind von uns vollständig aufgerieben worden, doch verfolgen wir immer noch die Spur ihres Anführers, von dem wir lediglich den Namen kennen: Donald Lumley.«
Shannice überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf.
»Nie gehört«, sagte sie.
»Es gibt nur vage Zeugenaussagen. Ich gehe allerdings davon aus, dass Lumley für den Angriff auf uns beide verantwortlich ist. Außerdem scheint er sich insbesondere für Sie zu interessieren, Miss.«
Ausdruckslos blickte Shannice den Marshal an, der unmittelbar fortfuhr: »Ein Zeuge hat beobachtet, dass Ihr Hengst von einem Unbekannten begutachtet wurde. Nachdem der Mord an Clarissa Norrington bekannt geworden ist, hat sich dieser Zeuge bei mir gemeldet. Leider konnte er keine Beschreibung des Fremden abgeben. Ich rate Ihnen zu allerhöchster Vorsicht.«
»Donald Lumley.« Shannices Lippen bewegten sich kaum. »Ich werde auf der Hut sein.« Sie ging aus der Zelle hinüber ins Office. »Wo befindet sich Etherwood gegenwärtig?«
»In ärztlicher Behandlung. Sobald sein Zustand sich gebessert hat, machen wir ihm den Prozess.« Stephen Bligh folgte der Halbindianerin. »Möchten Sie einen Kaffee?«
Shannice winkte ab. »Danach steht mir momentan nicht der Sinn.«
»Ich verstehe«, sagte Bligh. »Das war starker Tobak. Wir alle müssen das erst einmal verdauen.«
»Ich habe da so meine eigenen Vorstellungen, wie ich mit der Angelegenheit fertig werde …«
»Ein doppelter Whisky könnte hilfreich sein.«
Shannice schmunzelte. »Ich denke da eher an einen gewissen Dorian, der auf meinem Flur wohnt.«
Der Marshal runzelte die Stirn.
»Denken Sie nicht drüber nach, Bligh«, erklärte Shannice. »Ich weiß schon, was gut für mich ist.«
Sie hob die Hand zum Gruß und trat hinaus auf die Straße. Hinter den grauen Schleiern am Himmel war heller Schein zu ahnen. Im Laufe der nächsten Stunden würden die Wolken aufbrechen und der Sonne zu ihrem Recht verhelfen.
Ein strahlender Wintertag kündigte sich an.
Shannices Weg jedoch würde sie weiter nach Süden führen.
7
Schwarze Rache
Sechzig Meilen war Shannice Starr von Pilgrim’s End westwärts geritten. Sie hatte dabei viel Zeit gehabt, die eskalierenden Ereignisse um die Farmerfamilie Gilliam, den hinterhältigen Mayor Etherwood und den Bandenführer Donald Lumley Revue passieren zu lassen. Lumley schien aus unerfindlichen Gründen hinter ihr her zu sein, hatte sich ihr jedoch noch nicht offen entgegengestellt. Da er mit unbekanntem Ziel verschwunden war, konnte er jederzeit wieder auftauchen. Einerseits hoffte Shannice auf eine baldige Konfrontation, andererseits hegte sie auch ein gewisses Unbehagen. Was auch immer der skrupellose Killer im Schilde führte, eine Begegnung mit ihm würde rau werden, zumal sie sicher war, dass Lumley bereits ein Attentat auf sie verübt und anschließend wohl seine Pläne, sie auszuschalten, geändert hatte.
Was aber steckte dahinter? Wie war er auf sie aufmerksam geworden?
Seit sie Texas verlassen hatte, war ihre persönliche Situation mehr und mehr zum Albtraum geraten. Hätte sie zwei Jahre früher die Besonnenheit an den Tag gelegt, die nun
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