SHANNICE STARR (German Edition)
Castle vermutete. Dass sie ihn dort tatsächlich ohne großes Suchen vorfand, beschleunigte ihre Abreise nur. Bereitwillig stellte der Mormonenführer ihr Proviant für mehrere Tage zur Verfügung. Shannice packte die Vorratstaschen auf den Rücken ihres Rappen, bedankte sich für die Unterstützung und ließ die Mormonensiedlung ohne weitere Umschweife hinter sich. Draußen vor dem Tor drehte sie sich noch einmal um und sah von weitem Stella über den Hof laufen. Ein letztes Mal winkte Shannice ihr zu, wandte sich ab und gab dem schwarzen Hengst die Sporen.
Vielleicht hätte sie sich mehr Zeit gelassen, wenn sie geahnt hätte, welches Unheil sich über den Mormonen zusammenbraute …
Sheriff Strother Heart war auf alle wütend. Auf Stella Winwood, die ihn ausgetrickst hatte, auf Shannice Starr, die ihm vor der Nase entwischt war, und auf die selbstgerechten Bürger von River Hills, die seine Führungskraft und Kompetenz mit Füßen getreten hatten. Inzwischen glaubte er sich völlig verlassen auf der Welt, sah sich als den letzten Rettungsanker, der die Verderbtheit unter den Menschen noch auszumerzen in der Lage war. Allein gegen alle. So, wie er es stets gehandhabt hatte.
Sein Vorhaben war nun, die Mormonen um Denford Castle zur Rede zu stellen. Für ihn war es unzweifelhaft, dass sie der Flüchtenden Unterschlupf gewähren würden. Und damit war der Tatbestand der Hilfestellung gegenüber einem Straftäter für Strother Heart erfüllt. Dennoch blieb eine kleine Unsicherheit. Stella Winwood musste damit rechnen, dass die Mormonensiedlung für den Sheriff die erste Anlaufstelle sein würde. Womöglich hatte sie es daher vorgezogen, mit Shannice irgendwo in den Wäldern unterzutauchen. Aufgrund dessen hatte Heart nicht den direkten Weg gewählt, sondern durchstreifte suchend das Gelände, seine Sinne darauf ausgerichtet, auf jedes ungewöhnliche Geräusch und jede auffällige Bewegung umgehend zu reagieren. Irgendwann erkannte er zwischen den Bäumen einen Lichtschein, der ihn zu einer abgelegenen Hütte führte, der Hütte von Cliff Benson, jenem eigenbrötlerischen Einsiedler, der sich fern der Gemeinde hielt und mit keinem Menschen etwas zu tun haben wollte.
Überrascht stellte der Sheriff fest, dass die Tür zur Hütte nicht verschlossen und nur angelehnt war. Die Kälte des Winters war ungehindert eingedrungen. Im Kamin knisterte immer noch Holz, doch die prasselnden Flammen waren zu allmählich erkaltender Glut geschrumpft. In einer rasanten Bewegung brachte Heart seine Winchester in Anschlag, als er Benson auf den Dielen liegen sah. Teils geronnenes Blut hatte die Bohlen getränkt und rotbraun verfärbt.
Ein Stiefeltritt des Sheriffs beförderte die Tür ins Schloss; ein flinker Handgriff ließ den Riegel daran einrasten. Damit wollte er sich den Rücken freihalten, um in aller Ruhe den Toten und die Hütte zu untersuchen. Sofort stellte er fest, dass für Benson jede Hilfe zu spät kam. Der Tote wirkte wie dahingeschlachtet. In seiner Brust klaffte eine riesige Messerwunde, und seine Kehle war aufgeschnitten.
»Verkommene Indianerhure«, zischte er zwischen zusammengepressten Kiefern und hatte augenblicklich die einzigen Schlüsse gezogen, die seiner Meinung nach in Betracht kamen. Er durchquerte die Hütte mit vorgehaltener Waffe und inspizierte den angrenzenden Schlafraum. Heart war nahezu enttäuscht, Stella und Shannice dort nicht vorzufinden. Sein Abzugsfinger juckte, und er hätte die beiden Frauen gnadenlos über den Haufen geschossen. Ebenso bestand die Möglichkeit, dass sich der Schwarze, der in der alten Bergbausiedlung sein Unwesen getrieben hatte, in der Nähe aufhielt. Und für gewöhnlich kehrte ein Täter stets zum Ort seines Verbrechens zurück.
Strother Heart beschloss, sich in der Hütte auf die Lauer zu legen. Er kehrte zurück in den Wohnraum, löschte die Petroleumlampen, zog den Riegel der Tür auf und setzte sich abseits in einen Stuhl. Der erste, der die Hütte betrat, würde sich eine Ladung Blei einfangen.
Die ganze Nacht saß der Sheriff unbeweglich da und wartete. Erst mit Beginn der Dämmerung konnte er der Müdigkeit nicht mehr standhalten und fiel in kurzen Schlaf. Knapp über eine Stunde mochte er eingenickt sein. Und als er erwachte, machte er sich unverzüglich auf den Weg.
Wenn die Gesuchten nicht zu ihm kamen, würde er sie aufsuchen!
Wie jeden Tag hielt Denford Castle die Morgenandacht ab. Der Gemeinderaum war gut gefüllt, und bis auf die
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