Shantaram
beeindruckt sein, dass der große Khaderbhai ihn so gut bezahlt. Mit diesem bisschen Respekt wird er uns allen weniger Probleme machen. Trotzdem ist die Botschaft klar. Er ist ein Pferd, aber Khaderbhai ist ein Löwe. Und der Löwe hat gebrüllt.«
»Sind Sie Khaderbhais Leibwächter?«
»Nein, nein!« Er lachte erneut. »Lord Abdel Khader braucht keinen Schutz. Aber …« Er hielt inne, und wir blickten zu dem grauhaarigen Mann in der Limousine hinüber. »Aber ich würde für ihn sterben, falls Sie das meinen. Das würde ich für ihn tun, und noch viel mehr.«
»Viel mehr als für jemanden sterben kann man eigentlich nicht«, erwiderte ich und lächelte über seinen Ernst und die seltsame Vorstellung.
»Oh doch«, sagte er und legte mir den Arm um die Schultern, während wir zum Auto zurückgingen. »Viel mehr.«
»Wie ich sehe, freunden Sie sich mit unserem Abdullah an, Mr. Lin?«, bemerkte Khaderbhai, als wir einstiegen. »Das ist gut. Sie sollten wirklich Freunde werden. Sie sehen aus wie Brüder.«
Abdullah und ich blickten uns an und lachten leise. Ich hatte blonde Haare, er pechschwarze. Meine Augen waren grau, seine braun. Er war Perser, ich Australier. Auf den ersten Blick hätten wir unterschiedlicher nicht sein können. Doch Khaderbhai blickte mit solch verwirrter Miene vom einen zum anderen, war so aufrichtig erstaunt über unsere Belustigung, dass wir uns das Lachen verkniffen und nur lächelten. Während wir Richtung Bandra fuhren, dachte ich über Khaders Worte nach und kam zu dem Schluss, dass die Bemerkung des älteren Mannes trotz all der Unterschiede zwischen Abdullah und mir sehr scharfsinnig war.
Wir fuhren fast eine Stunde. Am Stadtrand von Bandra, in einer Straße voller Läden und Lagerhäuser, wurde der Wagen schließlich langsamer und bog holpernd in eine schmale Gasse ein. Alles war dunkel und menschenleer. Als die Autotüren geöffnet wurden, hörte ich Musik und Gesang.
»Kommen Sie, Mr. Lin. Wir gehen«, sagte Khaderbhai. Er befand es nicht für nötig, mir zu sagen, wohin oder warum.
Nasir, der Fahrer, blieb beim Auto. Er lehnte sich an die Kühlerhaube und gestattete es sich endlich, das Paan auszupacken, das Abdullah beim Haji-Ali-Restaurant für ihn besorgt hatte. Als ich an Nasir vorbeiging, wurde mir bewusst, dass er die ganze Fahrt über kein Wort gesprochen hatte, und ich wunderte mich darüber, wie es vielen Indern in dieser lärmenden übervölkerten Stadt gelang, lange Phasen der Stille zu schaffen.
Wir traten durch einen breiten steinernen Torbogen, folgten einem Korridor, stiegen zwei Treppen hinauf und gelangten in einen riesigen rechteckigen Raum voller Menschen, Rauch und lauter Musik. Die Wände waren mit grüner Seide und Teppichen ausgehängt. Am hinteren Ende stand eine kleine Bühne, auf der vier Musiker auf Seidenkissen saßen. Entlang der Wände waren niedrige Tische aufgestellt, von bequemen Sitzkissen umgeben. Hellgrüne glockenförmige Laternen hingen von der Holzdecke und warfen zittrige Kreise goldgelben Lichts. Kellner gingen von Gruppe zu Gruppe und servierten Schwarztee in hohen Gläsern. Auf einigen der Tische standen Hukas, aus denen blauer Rauch und der Duft von Charras aufstieg.
Mehrere Männer erhoben sich, um Khaderbhai zu begrüßen. Auch Abdullah war hier wohlbekannt und wurde mit einem Nicken, einem Winken oder ein paar Worten bedacht. Mir fiel auf, dass diese Männer ihn im Gegensatz zu denen am Haji-Ali-Restaurant äußerst herzlich umarmten und seine Hand eine Weile zwischen ihren Händen hielten. Einen der Männer im Raum erkannte ich. Es war Shafik Gussa, Shafik der Zornige, der die Prostitution in der Gegend rund um die Marinekaserne, nicht weit von meinem Slum, unter sich hatte. Einige andere kannte ich von Zeitungsfotos – einen namhaften Dichter, einen berühmten Sufi-Heiligen und einen angehenden Filmstar.
Einer der Männer bei Khaderbhai war der Geschäftsführer dieses Privatclubs, ein kleiner Mann, dessen geknöpfte lange Weste seinen runden Bauch umspannte. Seinen kahlen Schädel bedeckte die weiße Spitzenkappe der Hadji, die bereits nach Mekka gepilgert waren. Auf seiner Stirn zeichnete sich ein runder dunkler Fleck ab, den Muslime bekommen, wenn sie beim Beten mit der Stirn einen Stein berühren. Er rief ein paar Anweisungen, und sofort brachten Kellner einen weiteren Tisch und mehrere Kissen und platzierten diese in einer Ecke des Raums, von der aus man freien Blick auf die Bühne hatte.
Wir saßen im Schneidersitz,
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