Shantaram
Khader.
»Ja, Bhai, ihm geht es gut. Aber … aber … ich habe ein Problem«, antwortete der junge Kellner auf Hindi. Er zupfte nervös an seinem Schnurrbart.
Khaderbhai runzelte die Stirn und sah prüfend in das besorgte Gesicht.
»Was für ein Problem ist das, Ramesh?«
»Es ist wegen … wegen meinem Vermieter, Bhai. Wir sollen unsere Wohnung räumen. Ich, wir, also meine Familie, wir bezahlen schon die doppelte Miete. Aber der Vermieter … der Vermieter ist habgierig, und er will uns vor die Tür setzen.«
Khader nickte gedankenvoll. Von seinem Schweigen ermuntert, fuhr Ramesh in hastigem Hindi fort.
»Es ist nicht nur meine Familie, Bhai. Alle Familien im Haus sollen vor die Tür gesetzt werden. Wir haben alles versucht. Wir haben ihm wirklich gute Angebote gemacht, aber der Vermieter lässt sich auf nichts ein. Er hat goondas, und diese Gangster bedrohen uns. Sie haben schon ein paar Leute zusammengeschlagen, sogar meinen Vater. Ich schäme mich, dass ich den Vermieter nicht umgebracht habe, Bhai, aber ich weiß, dass ich damit meine Familie und die anderen Familien im Haus nur noch mehr in Schwierigkeiten bringen würde. Ich habe zu meinem verehrten Vater gesagt, dass wir Ihnen davon erzählen sollten und dass Sie uns beschützen würden. Aber mein Vater ist zu stolz. Sie kennen ihn ja. Und er liebt Sie, Bhai. Er will Ihre Ruhe nicht stören, indem er Sie um Hilfe bittet. Er wird sehr böse mit mir sein, wenn er erfährt, dass ich Ihnen von unseren Problemen erzählt habe. Aber als ich Sie heute Abend gesehen habe, verehrter Khaderbhai, da dachte ich … dass der Bhagwan Sie zu mir geführt hat. Ich … es tut mir sehr leid, dass ich Sie gestört habe …«
Er verstummte, schluckte heftig. Seine Finger waren schon ganz weiß, so fest umklammerte er das Metalltablett.
»Wir werden sehen, was sich machen lässt, Ramu«, sagte Khaderbhai langsam. Die Koseform des Namens Ramesh, Ramu, zauberte ein breites Kinderlächeln auf das junge Gesicht. »Komm morgen zu mir, Punkt zwei Uhr. Dann reden wir weiter. Wir helfen euch, inshallah. Ach, und Ramu – es gibt keinen Grund, deinem Vater etwas davon zu sagen, bis das Problem, inshallah, gelöst ist.«
Ramesh sah aus, als würde er am liebsten nach Khaders Hand greifen und sie küssen, doch er verneigte sich nur, murmelte einen Dank und zog sich dann dezent zurück. Abdullah und der Fahrer hatten Obstsalat und Kokosnussjoghurt bestellt, und als wir wieder allein waren, aßen sie mit hörbarem Genuss. Khaderbhai und ich hatten nur Mango-Lassi bestellt. Während wir die eisgekühlten Getränke schlürften, kam ein weiterer Besucher an das Autofenster. Es war der Chef der hiesigen Polizeiwache.
»Es ist mir eine große Ehre, Sie wiederzusehen, Khader ji«, sagte er und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die entweder auf Magenschmerzen hinwies oder einfach ein schmieriges Lächeln sein mochte. Er sprach Hindi mit starkem Akzent, sodass ich ihn nur schwer verstehen konnte. Nachdem er sich nach Khaderbhais Familie erkundigt hatte, kam er auf etwas Geschäftliches zu sprechen.
Abdullah stellte seinen leeren Teller auf dem Beifahrersitz ab und zog ein in Zeitungspapier gewickeltes Päckchen unter seinem Sitz hervor. Er reichte es Khader, der es an einer Ecke öffnete, worauf ein dickes Bündel Hundert-Rupien-Scheine zum Vorschein kam. Dann reichte er das Päckchen dem Polizisten durchs Fenster. Das ging so offen, geradezu demonstrativ vonstatten, als sei es wichtig für Khader, dass jeder im Umkreis von hundert Metern diesen Transfer von Bestechungsgeld sehen konnte.
Der Polizist steckte das Päckchen in die Brusttasche seines Hemds und wandte sich beiseite, um zweimal geräuschvoll auszuspucken, was Glück bringen sollte. Dann beugte er sich wieder zum Fenster und verfiel in hastiges Murmeln. Ich verstand die Worte Leiche und Geschäft und irgendetwas über den Chor Bazaar, den »Basar der Diebe«, doch ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Khader brachte den Mann mit erhobener Hand zum Schweigen. Abdullah schaute von Khader zu mir und grinste jungenhaft.
»Kommen Sie, Mr. Lin«, sagte er. »Wir sehen uns mal die Moschee an, oder?«
Als wir aus dem Auto stiegen, hörte ich den Polizisten laut sagen: Der Gora spricht Hindi? Bhagwan schütze uns vor den Ausländern!
Wir gingen zu einer menschenleeren Stelle an der Ufermauer. Die Haji-Ali-Moschee war auf einer kleinen flachen Insel erbaut, die durch einen dreihundertdreiunddreißig Schritt langen
Weitere Kostenlose Bücher