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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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hin und her, schien diesen Worten nachzusinnen. Schließlich nickte er Farid zu und bedeutete ihm zu sprechen.
    »Ich glaube, dass unser Bruder Khaled in gewisser Weise recht hat«, begann Farid leise, beinahe schüchtern, und sah Khaderbhai mit seinen großen dunkelbraunen Augen an. Durch das interessierte Nicken des älteren Mannes ermutigt, fuhr er fort: »Ich glaube, das Glück ist etwas wirklich und echt, aber macht uns auch verrückt. Glück ist so seltsam und voller Kraft, dass es macht uns krank, wie Bazille. Und Leiden heilt uns davon, von diesem zu viel Glück. Von der – wie sagt man das auf Englisch: bhari vazan?«
    »Die Last«, übersetzte Khaderbhai für ihn. Farid sagte einen Satz in sehr schnellem Hindi, und Khader gab ihn in einem eleganten, poetischen Englisch wieder, das mir sogar in meinem Rausch bewusst werden ließ, dass er die Sprache weit besser beherrschte, als er es mich bei unserem ersten Treffen hatte glauben machen. »Die Last des Glücks kann nur durch den Balsam des Leides gelindert werden.«
    »Ja, ja, das ist, was ich sagen will. Ohne Leiden würde Glück uns zerdrücken.«
    »Das ist ein sehr interessanter Gedanke, Farid«, sagte Khaderbhai, und der junge Marathe strahlte vor Freude über dieses Lob.
    Ich verspürte einen kleinen Stich von Eifersucht. Das wohlige Gefühl, das Khaderbhais gütiges Lächeln in mir hervorrief, war so euphorisierend wie die berauschende Mischung, die wir in der Wasserpfeife geraucht hatten. Der Wunsch in mir, Abdel Khader Khan ein guter Sohn zu sein und mit seinem Lob beschenkt zu werden, war geradezu überwältigend. Jener Hohlraum in meinem Herzen, der von der Liebe eines Vaters hätte erfüllt sein sollen, fügte sich den Formen seines Körpers an, trug die Züge seines Gesichts. Die hohen Wangenknochen, der kurze silberne Bart, die sinnlichen Lippen und die tiefliegenden bernsteinfarbenen Augen erschienen mir wie das ideale Vatergesicht.
    Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke – an meine Bereitschaft, ihm zu dienen wie ein Sohn seinem Vater und ihn zu lieben, was dann auch so schnell und selbstverständlich geschah –, frage ich mich, inwieweit das mit der großen Macht zusammenhing, die er in dieser Stadt besaß. In seiner Stadt. Ich hatte mich nirgendwo und mit niemandem auf der Welt je so sicher gefühlt wie an seiner Seite. Ich hoffte wirklich, dass ich in den Fluss seines Lebens eintauchen und die Spürhunde abschütteln könnte. Ich habe mich im Lauf der Jahre tausendmal gefragt, ob ich ihn ebenso schnell und ebenso heftig geliebt hätte, wenn er machtlos und arm gewesen wäre.
    Als ich damals in dem Raum mit der Kuppel saß und diesen Anflug von Eifersucht spürte, weil er Farid anlächelte und lobte, verstand ich, dass zwar Khaderbhai bei unserem ersten Treffen davon gesprochen hatte, mich als Sohn zu adoptieren, dass in Wirklichkeit jedoch ich ihn adoptiert hatte. Und während sich die Diskussion weiter entspann, sprach ich stumm, mit der geheimen Stimme des Gebets und der Beschwörung die Worte … Vater, Vater, mein Vater …
    »Du teilst unsere Freude an der englischen Sprache nicht, Onkel Sobhan«, wandte sich Khaderbhai an den stämmigen grauhaarigen Mann zu seiner Rechten. »Deshalb erlaube mir, für dich zu antworten. Du würdest sagen, dass unser Leid, wie wir dem Koran entnehmen können, eine Folge unserer Sünden und unserer bösen Taten ist, nicht wahr?«
    Sobhan wiegte zustimmend den Kopf, und seine von buschigen grauen Brauen überwölbten Augen funkelten. Es schien ihn zu amüsieren, dass Khaderbhai Vermutungen darüber anstellte, welchen Standpunkt er wohl vertreten könnte.
    »Du würdest sagen, dass ein Leben nach den rechten Grundsätzen, nach der Lehre des Heiligen Koran, den guten Moslem vor Leid bewahrt und er in die ewige Glückseligkeit des Himmels geführt wird, wenn sein Leben einst zu Ende ist.«
    »Wir wissen alle, was Onkel Sobhan denkt«, warf Abdul Ghani ungeduldig ein. »Keiner von uns würde deinen Argumenten widersprechen, Onkel- ji, aber du musst mir gestatten, anzumerken, dass du manchmal zu etwas extremen Reaktionen neigst, na ? Ich erinnere mich gut daran, wie du den jungen Mahmud mit einem Bambusstock geschlagen hast, weil er weinte, als seine Mutter starb. Es stimmt natürlich, dass wir den Willen Allahs nicht anzweifeln sollten, aber ein Hauch von Mitleid wäre in solch einem Fall nur menschlich, oder? Aber sei dem, wie dem wolle – was mich jetzt interessieren würde, ist deine Meinung,

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