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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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soll ich sagen? Die Durchgeknallten stehen nun mal auf mich.«
    »Hör nicht auf sie, Ulla, mein Herzchen«, tröstete sie Didier. »Ein gewisses Maß an Wahnsinn ist die Grundlage für so manche gute Beziehung. Man könnte sogar sagen, dass er die Grundlage jeder guten Beziehung ist.«
    »Didier«, seufzte Ulla mit liebreizendem Lächeln, »habe ich dir heute schon gesagt, dass du mich am Arsch lecken kannst?«
    »Nein!«, antwortete er. »Aber ich verzeihe dir diesen Lapsus. Denn wir beide, Schätzchen, müssen derlei nur andeuten und verstehen es dennoch.«
    Der Kellner brachte vier kleine Whiskyflaschen und entfernte mit einem Messingöffner, den er an einer Kette an seinem Gürtel trug, die Kronkorken von zwei Flaschen Mineralwasser, ohne sich darum zu kümmern, dass die Deckel über den Tisch rollten und zu Boden fielen. Dann wischte er hektisch mit einem schmierigen nassen Lappen den Tisch ab, sodass wir alle zurückzuckten, um den Spritzern auszuweichen.
    Zwei Männer kamen aus unterschiedlichen Richtungen an unseren Tisch; einer sprach mit Didier, der andere mit Modena. Ulla nutzte die Gelegenheit, um sich zu mir zu beugen und mir unter dem Tisch etwas in die Hand zu drücken, das sich wie ein kleines Bündel Geldscheine anfühlte. Ihr flehender Blick bedeutete mir, dass ich mir nichts anmerken lassen sollte. Während sie weiterplauderte, schob ich die Scheine unbesehen in die Hosentasche.
    »Hast du dich inzwischen entschieden, wie lange du bleiben willst?«, fragte sie.
    »Ich weiß noch nicht. Ich hab’s nicht eilig.«
    »Wartet denn niemand auf dich? Musst du nirgendwohin?« Sie lächelte mich mit professioneller Koketterie an. Ulla verführte aus Gewohnheit. Sie bedachte alle mit demselben Lächeln – Kunden, ihre Freunde, Didier, dem gegenüber sie keinen Hehl aus ihrer Abneigung machte, und sogar Modena, ihren Geliebten. In den folgenden Monaten und Jahren erlebte ich häufig, wie Ulla wegen ihres Flirtverhaltens angegriffen wurde, manchmal sogar sehr harsch. Ich fand das nicht richtig, denn ich war zu dem Schluss gekommen, dass Ulla sich nur deshalb so verhielt, weil Flirten die einzige Art von Freundlichkeit war, die sie kannte und geben konnte: ihre Art, freundlich zu sein und dafür zu sorgen, dass die Menschen – die Männer – nett zu ihr waren. Sie fand die Welt nicht freundlich genug und sagte das häufig in genau diesen Worten. Ihre Gedanken und Gefühle hatten keinerlei Tiefgang, aber sie waren auch nicht falsch und schadeten niemandem. Und, so oder so: Ulla war sehr hübsch und hatte ein bezauberndes Lachen.
    »Nein«, log ich. »Niemand wartet auf mich, und ich muss nirgendwohin.«
    »Und hast du wirklich, how do you say, nichts Bestimmtes vor? Keinen Plan?«
    »Eigentlich nicht. Außer, dass ich an einem Buch arbeite.«
    Seit ich auf der Flucht war, hatte ich gemerkt, dass es nützlich für mich war, wenn ich bei Nachfragen einen Teil der Wahrheit offenbarte und mich als Schriftsteller zu erkennen gab. Damit ließen sich längere Aufenthalte oder überstürzte Abreisen rechtfertigen, und mit der Angabe Recherchen konnte ich Fragen nach Transport- und Reisemöglichkeiten und falschen Papieren begründen. Außerdem konnte ich mir so ein Stück Privatsphäre verschaffen, denn wenn ich mit einem Bericht über mein Buchprojekt drohte, machten lediglich besonders Neugierige keinen Rückzieher.
    Und ich war tatsächlich Schriftsteller. Ich hatte in Australien mit Anfang zwanzig zu schreiben begonnen. Doch zur gleichen Zeit, als mein erstes Buch veröffentlicht wurde, scheiterte meine Ehe. Ich verlor das Sorgerecht für meine Tochter, und ich verlor mein Leben, in Drogenrausch, Verbrechen, Haft und Flucht. Dennoch schrieb ich täglich, behielt die Gewohnheit instinktiv bei. Auch jetzt, als ich im Leopold’s saß, waren meine Taschen voller Notizen, die ich auf Servietten, Quittungen und Papierfetzen gekritzelt hatte. Ich schrieb immer und überall. Ich musste schreiben, in jeder Lebenslage und an jedem Ort. An jene ersten Monate in Bombay kann ich mich vor allem deshalb so genau erinnern, weil ich mir Notizen über meine neuen Freunde und unsere Gespräche machte, sobald ich alleine war. Schreiben war einer meiner Rettungsanker: Disziplin und der innere Abstand, der vonnöten war, um mein Leben Tag für Tag in Worte zu fassen, halfen mir, mit der Scham zurechtzukommen und mit ihrer nächsten Anverwandten, der Verzweiflung.
    »Shit, Mann, was gibt es denn über Bombay zu schreiben, außer

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