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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Worte und Handlungen und dem dunklen, in dem wir alles sehen, was wir nicht gesagt und nicht getan haben. Heute wünsche ich mir, ich hätte schon in jenen ersten Wochen, an jenem Abend, Worte finden können, um ihr zu sagen, was ich für sie empfand.
    Alles an ihr gefiel mir. Die Klangfarbe ihres schweizerischen Amerikanisch und die Art, wie sie mit Daumen und Zeigefinger langsam ihr Haar zurückstrich, wenn sie ungehalten war. Die kluge Entschiedenheit, mit der sie Gespräche führte, und die ruhigen entspannten Gesten, mit denen sie Freunde berührte, wenn sie an ihnen vorüber ging oder sich zu ihnen setzte. Die Art, wie sie mich ansah bis zu dem Moment, in dem es bedrohlich wurde, und dann lächelte, um die Attacke zu mildern, ohne jedoch den Blick abzuwenden.
    Karla blickte der Welt ins Auge und starrte sie nieder, und das gefiel mir an ihr, weil ich die Welt damals nicht mochte. Die Welt wollte mich töten oder einsperren. Die Welt wollte mich in den Käfig stecken, aus dem ich geflüchtet war, den Käfig, in dem die Typen in Wächteruniformen, die man dafür bezahlte, das Recht durchzusetzen, mich an eine Wand gekettet und so lange getreten hatten, bis meine Knochen gebrochen waren. Vielleicht hatte die Welt ja recht damit. Vielleicht verdiente ich genau das. Doch es heißt, dass Unterdrückung in manchen Männern Widerstand auf den Plan ruft, und ich widersetzte mich der Welt in jeder Minute meines Lebens.
    Die Welt und ich sprechen nicht mehr miteinander, sagte Karla einmal in jenen ersten Monaten zu mir. Die Welt versucht mich zurückzugewinnen, aber es funktioniert nicht. Ich bin wohl nicht der versöhnliche Typ. Und genau das hatte ich vom ersten Moment an bei ihr gespürt. Wie ähnlich sie mir war. Ich spürte ihre fast brutale Entschlossenheit, ihren fast gnadenlosen Mut und die einsame wütende Sehnsucht nach Liebe. Ich spürte das alles, doch ich sprach nicht darüber. Ich sagte ihr nicht, was ich für sie empfand. Ich war wie betäubt in diesen ersten Jahren nach der Flucht: zutiefst verstört von den Katastrophen, die in meinem Leben wüteten. Mein Herz trieb in stillem, dunklem Wasser. Nichts und niemand konnte mich wirklich verletzen. Nichts und niemand konnte mich wirklich glücklich machen. Ich war hart, was wohl das Traurigste ist, das man über einen Mann sagen kann.
    »Du wirst ja zum Stammgast hier«, sagte sie freundlich und strich mir mit einer Hand durchs Haar, als sie sich an meinen Tisch setzte.
    Ich mochte es, wenn sie das tat; sie verstand mich, spürte unwillkürlich, dass ich nichts dagegen hatte. Ich war dreißig damals – hässlich, groß und breitschultrig mit wuchtigem Brustkorb und kräftigen Oberarmen. Für gewöhnlich strich mir niemand durch die Haare.
    »Ja, sieht ganz so aus.«
    »Und, warst du wieder mit Prabaker auf Tour heute? Wie war’s?«
    »Er ist mit mir auf die Insel Elephanta gefahren, um die Höhlen zu besichtigen.«
    »Es ist sehr schön dort«, sagte sie still und sah mich an, doch ihre Augen waren verträumt. »Wenn sich die Gelegenheit bietet, solltest du dir auch die Ajanta- und die Ellora-Höhlen im Norden ansehen. In Ajanta habe ich einmal in einer der Höhlen übernachtet. Mein Boss hatte mich dorthin mitgenommen.«
    »Dein Boss?«
    »Ja, mein Boss.«
    »Ist er Inder oder Europäer?«
    »Weder noch.«
    »Erzähl mir von ihm.«
    »Weshalb?«, fragte sie stirnrunzelnd und starrte mich an.
    Ich wollte mich nur unterhalten, damit sie in meiner Nähe blieb, und die plötzliche Feindseligkeit in ihrer knappen Frage verblüffte mich.
    »Nur so«, erwiderte ich lächelnd. »Es interessiert mich einfach, wie andere Leute hier Arbeit finden und womit sie sich über Wasser halten, mehr nicht.«
    »Na ja, ich habe ihn vor fünf Jahren kennen gelernt, auf einem Langstreckenflug.« Sie betrachtete konzentriert ihre Hände und schien sich langsam wieder zu entspannen. »Wir sind beide in Zürich an Bord gegangen. Ich war eigentlich auf dem Weg nach Singapur, aber bis Bombay hatte er es tatsächlich geschafft, mich zu überreden, dass ich hier mit ihm ausstieg und für ihn arbeitete. Die Fahrt zu den Höhlen war … etwas ganz Besonderes. Er hat irgendwas mit den Behörden geregelt – dann durfte ich mit ihm hochfahren. Die Nacht habe ich in einer riesigen Höhle verbracht, mitsamt steinernen Buddhas und kreischenden Fledermäusen. Ich habe mich trotzdem sicher gefühlt, weil mein Boss am Eingang der Höhle einen Leibwächter für mich aufgestellt hatte. Es war

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