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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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ersten Stock getroffen hatte, durften nur draußen auf dem Gehweg mit Handschlag und Bargeld besiegelt werden, damit niemand behaupten konnte, er habe im Leopold’s Bestechungsgelder gezahlt oder erhalten.
    Die feinen Grenzlinien zwischen Legalität und Illegalität waren zwar nirgendwo eleganter gezogen als im Leopold’s, dem Lokal jedoch nicht vorbehalten: Straßenhändler verhökerten ungeniert Imitate von Lacoste, Cardin und Cartier, Taxifahrer, die am Straßenrand geparkt hatten, erklärten sich für eine angemessene Summe bereit, ihren Rückspiegel zu verstellen, damit die widerrechtlichen Vorgänge auf dem Rücksitz unbemerkt blieben. Und etliche Polizisten, die im Revier auf der anderen Straßenseite gewissenhaft ihren Dienst versahen, hatten saftige Schmiergelder bezahlt, um einen dieser hochbegehrten lukrativen Posten in der Innenstadt zu bekommen.
    Wenn ich allabendlich im Leopold’s saß und den Gesprächen an den Nebentischen lauschte, hörte ich nicht selten, wie Ausländer und Inder gleichermaßen sich über die Korruption in allen Bereichen des öffentlichen und geschäftlichen Lebens von Bombay beklagten. Und bereits nach wenigen Wochen in der Stadt konnte ich aus eigener Erfahrung sagen, dass diese Klagen oft berechtigt waren. Doch es gibt nirgendwo auf der Welt ein Land ohne Korruption. Es gibt auch kein System, das gegen illegale Geldgeschäfte immun wäre. Selbst in den höchsten Kreisen helfen privilegierte und mächtige Eliten ihrem Erfolg mit Schmiergeldern und Wahlkampfspenden nach. Und Reiche leben überall auf der Welt länger und gesünder als arme Menschen. Es gibt einen Unterschied zwischen unehrlichem und ehrlichem Bestechungsgeld, hat Didier Levy einmal zu mir gesagt. Das unehrliche Bestechungsgeld gibt es überall auf der Welt, aber das ehrliche gibt es nur in Indien. Ich schmunzelte, als er das sagte, denn ich wusste, was er meinte. Indien war offen. Indien war ehrlich. Und das gefiel mir vom ersten Tag an. Mein erster Impuls war nicht, Kritik zu üben. In dieser Stadt, die ich lieben lernte, riet mir mein Instinkt vielmehr, genau hinzusehen, mich einzulassen und zu genießen. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass in den kommenden Monaten und Jahren meine Freiheit und sogar mein Leben von der indischen Bereitschaft abhängen würde, den Rückspiegel wegzudrehen.
    »Was, du sitzt alleine hier?«, rief Didier bestürzt, als er an den Tisch zurückkam. »C’est trop! Weißt du denn nicht, mein lieber Freund, dass es nachgerade widerlich ist, allein hier zu sitzen? Und ich muss dir leider sagen, dass ich das Privileg, widerlich zu sein, für mich allein beanspruche. Komm, trinken wir was zusammen.«
    Er ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen und rief seinen Kellner herbei, um Drinks zu bestellen. Seit Wochen hatte ich mich fast jeden Abend mit Didier unterhalten, doch wir waren noch nie allein gewesen. Es erstaunte mich, dass er sich zu mir setzte, obwohl weder Ulla oder Karla noch andere Freunde zurückgekommen waren. Mit dieser kleinen Geste zeigte mir Didier, dass er mich akzeptierte, und ich war ihm dankbar dafür.
    Didier trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, bis sein Whisky kam, und leerte sofort begierig das halbe Glas. Danach sah er entspannter aus und sah mich lächelnd an, die Augen leicht verengt.
    »Du scheinst in Gedanken versunken zu sein«, sagte er.
    »Ich hab das hier alles auf mich wirken lassen und über das Leopold’s nachgedacht.«
    »Ein grauenhafter Laden«, seufzte er kopfschüttelnd. »Ich verachte mich dafür, dass ich mich hier so wohl fühle.«
    Zwei Männer, die in Pluderhosen, bis auf die Oberschenkel reichende, langärmlige Hemden und dunkelgrüne Westen gekleidet waren, erregten Didiers Aufmerksamkeit. Sie nickten ihm zu, als sie näher kamen, und er reagierte mit einem Winken und einem breiten Lächeln. Die beiden ließen sich bei Freunden an einen Tisch in unserer Nähe nieder.
    »Gefährliche Männer«, murmelte Didier, der unentwegt weiterlächelte, während er zu den beiden hinüberstarrte, die mit dem Rücken zu uns saßen. »Afghanen. Rafiq, der Kleine, hatte früher den Schwarzmarkt für Papiere unter sich.«
    »Papiere?«
    »Pässe. Er war der Boss. Einer von den ganz Großen. Jetzt schmuggelt er Heroin durch Pakistan. Er verdient einen Haufen Geld damit, aber er ist immer noch verbittert, weil er das Passgeschäft verloren hat. Bei diesem Kampf wurden einige Männer umgebracht – von seinen eigenen Leuten.«
    Die beiden

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