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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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gehabt hätte.
    »Das ist, was keiner weiß, Bruder«, antwortete er, und seine Augen verschleierten sich. Diese Antwort hätte auch von Prabaker stammen können, und ich vermisste meinen kleinen Freund plötzlich schmerzlich. »Bin zwei Tage vor dir hergekommen. Gerücht ist, werden wir in zwei oder drei Wochen ins Road gebracht.«
    »Ins Road?«
    »Arthur-Road-Gefängnis, Mann.«
    »Ich muss jemandem eine Nachricht zukommen lassen.«
    »Wirst du warten müssen damit, Lin. Die Wächter hier, die Bullen, die haben allen gesagt, dass wir nicht helfen sollen dir. Als hätte jemand dich mit ein Fluch belegt, Bruder. Ich krieg wahrscheinlich Hölle heiß gemacht, weil ich rede mit dir, yaar, aber scheiß drauf.«
    »Ich muss unbedingt eine Nachricht rausschleusen«, wiederholte ich grimmig.
    »Tja, wird keiner dir helfen von denen, die rauskommen, Lin. Haben die Angst wie Mäuse in ein Sack voll Kobras. Aber von Arthur Road aus wirst du Nachrichten nach draußen kriegen. Das ist verdammt scheißegroßes Gefängnis, kein Problem. Sitzen da zwölftausend Mann. Regierung behauptet, sind weniger als so viele, aber wir hier, wir wissen alle, dass da sitzen zwölftausend Mann. Ist trotzdem viel besser als hier. Wenn du ins Road kommst, werden wir da zusammen sein, vielleicht in drei Wochen. Bin ich wegen Diebstahl hier. Diebstahl von den Baustellen – Kupferdraht, Kunststoffröhren –, war schon dreimal im Gefängnis, immer wegen dem Gleichen. Ist das jetzt Nummer vier. Was soll man sagen, Bruder? Bin ich, was sie nennen Serie-Strafgefallenen, weil verstoße ich gegen das Klaugesetz. Diesmal werden drei Jahre, wenn habe ich Glück, und wenn habe ich Pech, fünf. Wenn kommst du nach Arthur Road, hältst du an mich. Dann wir versuchen, deine Nachrichten rauszukriegen aus den Gefängnis. Thik hain? Bis dahin wir rauchen und beten zum Gott und beißen jeden Schwesterschänder, der uns wegnehmen will Teller, na ?«
    Und genau das taten wir auch, drei Wochen lang. Wir rauchten zu viel und plagten den tauben Himmel mit unseren Gebeten, wir kämpften mit einigen Männern und trösteten ein paar andere, die am Rauchen und Beten und Kämpfen zu verzagen drohten. Eines Tages kamen sie, um unsere Fingerabdrücke zu nehmen, um die geschwärzten, verräterischen Linien und Windungen auf ein Blatt Papier zu drücken, das die Enthüllung einer Wahrheit verhieß, nichts als der Wahrheit, einer schändlichen Wahrheit. Und dann wurden Mahesh und ich zusammen mit vielen anderen in einen uralten blauen Gefangenentransporter gezwängt – achtzig Mann im dunklen Schoß eines Transporters, der schon mit dreißig Mann überfüllt gewesen wäre – und in waghalsigem Tempo zum Arthur-Road-Gefängnis gefahren, durch die Straßen jener Stadt, die wir alle zu sehr liebten.
    Hinter den Gefängnistoren wurden wir von den Wärtern aus dem Transporter gezerrt und mussten in die Hocke gehen, woraufhin andere Wärter einen nach dem anderen abfertigten und die Aufnahmepapiere ausfüllten. Das Ganze dauerte vier Stunden. In der Hocke rutschten wir jeweils um einen Platz weiter. Mich ließen sie bis zum Schluss warten. Man hatte den Wärtern gesagt, dass ich Marathi verstand. Als ich mit ihnen allein war, überprüfte der Oberwärter diese Behauptung, indem er mir befahl aufzustehen. Ich erhob mich auf schmerzhaft steifen Beinen, woraufhin er mir befahl, mich wieder hinzuhocken. Als ich hockte, ließ er mich wieder aufstehen. Nach der Heiterkeit zu urteilen, die das bei den umstehenden Wachen auslöste, hätte es wohl endlos so weitergehen können, doch ich weigerte mich mitzuspielen. Er gab weiter seine Kommandos, doch ich ignorierte ihn. Als er schließlich aufhörte, starrten wir uns an, und eine Stille breitete sich aus, wie ich sie nur aus dem Gefängnis und aus dem Krieg kenne. Eine Stille, die man auf der Haut spüren kann. Eine Stille, die man riechen, schmecken und irgendwie sogar hören kann, in einem dunklen Raum tief im Inneren. Langsam wich das maliziöse Lächeln des Oberwärters wieder der hasserfüllten Grimasse von zuvor. Er spuckte mir vor die Füße.
    »Dieses Gefängnis haben die Briten gebaut, in der Kolonialzeit«, zischte er zwischen den Zähnen hervor. »Die haben hier Inder angekettet, Inder ausgepeitscht und Inder aufgehängt, so lange, bis sie tot waren. Jetzt ist es unser Gefängnis, und du bist ein britischer Gefangener.«
    »Entschuldigen Sie, mein Herr«, erwiderte ich so förmlich und höfich, wie es mir auf Marathi möglich war,

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