Shantaram
erkämpfte ich mir hier und jetzt meinen Platz in dieser Welt, oder ich scheiterte und ließ mich in den stinkenden Sumpf am Ende des Gangs drängen.
Ich nutzte den Zug, den er auf den Teller ausübte, um ihm meinen Kopf mit Schwung auf den Nasenrücken zu schmettern, fünf, sechs, sieben Mal, und dann, als er sich wegdrehen wollte, noch einmal auf das Kinn. Aufregung erfasste die Menge. Ein Dutzend Händepaare schubste uns, drückte unsere Körper und Gesichter aneinander. Zwischen den erschrockenen Männern eingequetscht und außerstande, meine Hände zu benutzen, da ich nicht bereit war, den Teller loszulassen, biss ich dem Typen ins Gesicht. Meine Zähne bohrten sich in seine Wange, bis ich sein Blut schmeckte. Er ließ den Teller los, schrie, schlug wild um sich und drängte sich hastig zwischen den Männern hindurch zum Stahltor. Ich folgte ihm, griff nach seinem Rücken. Die Gitterstäbe umklammernd, rüttelte er am Tor und schrie um Hilfe. Ich erwischte ihn in dem Moment, als der Wächter den Schlüssel im Schloss umdrehte, und packte zu, als er durch das Tor flüchten wollte. Sein T-Shirt spannte sich in meiner Faust, und einen Moment lang hing er fest; seine Beine bewegten sich, doch er kam nicht vom Fleck. Dann gab der Stoff nach, und ich stand mit einem Fetzen seines T-Shirts in der Hand da, während er durch die Öffnung taumelte. Er duckte sich hinter den Wachmann, den Rücken an die Wand gepresst. Auf der Wange, in die ich meine Zähne geschlagen hatte, klaffte eine Wunde, und Blut rann aus seiner Nase über den Hals auf die Brust hinunter. Das Tor schlug zu. Der Polizist starrte mich mit einem unergründlichen Lächeln an, als ich mit dem T-Shirt-Fetzen das Blut von Händen und Teller wischte. Zufrieden mit mir, feuerte ich ihn gegen das Tor. Dann drehte ich mich um und bahnte mir einen Weg durch die stumme Menge, um meinen Platz im Raum der Diebe wieder einzunehmen.
»Gute Aktion, Bruder«, sagte der neben mir sitzende junge Mann auf Englisch.
»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Eigentlich hatte ich es ja auf sein Ohr abgesehen.«
»Uuuuh!« Er schüttelte sich und verzog die Lippen. »Aber Ohr sicher ist nahrhafter als das verdammte Essen, was wir kriegen hier, Mann. Warum du bist hier?«
»Weiß nicht.«
»Du weißt nicht?«
»Die haben mich mitten in der Nacht geschnappt und hierhergebracht. Mir hat niemand gesagt, was mir vorgeworfen wird oder warum ich hier bin.«
Ich fragte ihn nicht, warum er da war, denn die australische Gefängnisetikette, die von den alten Hasen noch befolgt wird – von Männern, die wissen, dass es eine solche Etikette überhaupt gibt, und die sie mir zu Beginn meiner Haftstrafe beigebracht hatten –, schreibt vor, dass man einen anderen erst dann nach seinen Verbrechen fragt, wenn man ihn so gerne mag, dass man sich mit ihm anfreunden möchte, oder aber wenn man
ihn so sehr verabscheut, dass man ihn gerne zum Feind haben will.
»Die haben ordentlich verdroschen dich, Mann.«
»Das Flugzeug, haben sie dazu gesagt.«
»Uuuuh!« Er schüttelte sich noch einmal und zog die Schultern hoch. »Ich hasse verdammtes Flugzeug, Bruder! Haben die mich einmal so fest mit Stricken eingeschnürt, dass ich drei Tage lang den Arm nicht mehr gefühlt habe. Weißt du ja, wie beschissen Körper anschwillt, wenn die einen verdreschen eine Weile, na ? Ich bin Mahesh. Und du?«
»Lin.«
»Lin?«
»Ja.«
»Interessante Name, Mann. Wo hast du gelernt das Marathi? Hab ich vorhin gehört, wie du diesen Kerl Wichser geschimpft hast, bevor du an sein Gesicht herumgenagt hast.«
»In einem Dorf.«
»Muss ein schön übles Dorf gewesen sein.«
Ich lächelte zum ersten Mal seit meiner Ergreifung. Im Gefängnis geht man sparsam mit seinem Lächeln um, denn die harten Typen im Knast halten Lächeln für eine Schwäche, die Schwächlinge betrachten es als Einladung, und die Gefängniswärter nehmen es als Anlass für neue Schindereien.
»Das Fluchen hab ich hier in Bombay gelernt«, erklärte ich und fragte: »Wie lange sitzt man normalerweise hier drin?«
Mahesh seufzte, und sein breites dunkles Gesicht zog sich bekümmert zusammen. Seine weit auseinanderliegenden braunen Augen saßen so tief in den Höhlen, als wollten sie sich hinter seiner narbenbedeckten Stirn verstecken oder dort Schutz suchen. Seine breite Nase, die mehr als einmal gebrochen war, dominierte das Gesicht und verlieh ihm eine brutale Ausstrahlung, die es mit dem schmalen Mund und runden Kinn alleine nicht
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