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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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auf und machte Anstalten zu gehen, doch als ich nochmals die Hand hob, setzte er sich rasch wieder hin.
    »Es gibt noch einen«, sagte ich.
    Der Polizist lachte laut auf.
    »Aur ek?«, prustete er. Noch einen?
    »Ein Afrikaner. Er sitzt im Afrikaner-Trakt. Sein Name ist Rahim. Die haben ihm beide Arme gebrochen. Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt. Wenn er noch lebt, will ich, dass er auch rauskommt.«
    Der Polizist wandte sich dem Gefängnisbeamten zu, zog die Schultern hoch und hob fragend die Hand.
    »Ich kenne den Fall«, sagte der Beamte und wiegte den Kopf. »Das ist eine … eine Geschichte mit der Polizei. Dieser Kerl hatte eine schamlose Affäre mit der Frau eines Polizeiinspektors. Der Inspektor hat völlig zu Recht dafür gesorgt, dass der Kerl hier eingesperrt wird. Und kaum war er hier, hat dieser Rohling einen meiner Aufseher angegriffen. Dass wir ihn gehen lassen, ist absolut ausgeschlossen.«
    Eine kurze Stille trat ein, in der das Wort ausgeschlossen wie der Rauch einer billigen Zigarre durch den Raum zog.
    »Viertausend«, sagte der Bulle.
    »Rupien?«, fragte Vikram.
    »Dollar«, erwiderte der Bulle lachend. »Amerikanische Dollars. Viertausend zusätzlich. Zwei für uns und unsere Mitarbeiter, und zwei für den Inspektor, der mit dieser Schlampe verheiratet ist.«
    »Kommen noch mehr dazu, Lin?«, murmelte Vikram und sah mich an. »Ich frage nur mal, denn wenn das so weitergeht, können wir eine Gruppenermäßigung aushandeln.«
    Ich erwiderte seinen Blick. Das Fieber brannte in meinen Augen, und von der Anstrengung, aufrecht auf dem Stuhl zu sitzen, schwitzte und zitterte ich. Er beugte sich zu mir und legte mir die Hände auf die nackten Knie. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass womöglich Läuse von meinen Beinen auf seine Hände kriechen würden, doch ich konnte diese beruhigende Berührung nicht abwehren.
    »Hey, das klappt schon, Mann. Keine Sorge. Ich bin bald wieder da. In spätestens einer Stunde bist du hier draußen. Scheiße, Mann, das versprech ich dir. Ich komme mit zwei Taxis, eins für uns beide und eins für deine Jungs.«
    »Nimm drei Taxis«, antwortete ich, und meine Stimme klang, als käme sie von einem neuen, dunklen Ort, der sich tief in meinem Innern auftat, weil ich an die Vorstellung zu glauben begann, in Kürze frei zu sein.
    »Eins für dich, und die anderen zwei für die Jungs und mich«, sagte ich. »Weil … Läuse.«
    Er zuckte zusammen. »Okay. Drei Taxis. Alles klar.«
    Eine halbe Stunde später saß ich mit Rahim auf dem Rücksitz eines schwarzgelben Fiat-Taxis. Die zahllosen Gebäude und Menschen auf den Straßen waren eine Augenweide für mich. Rahim hatte offenbar ärztliche Behandlung bekommen – beide Arme waren eingegipst –, doch er war mager und krank, und in seinem Blick lag ein solches Grauen, dass mir übel wurde, sobald ich ihn ansah. Bis auf die Angabe, wo er hin wollte, sagte er die ganze Zeit über kein Wort. Als wir ihn vor einem Restaurant in Dongri absetzten, das Hassan Obikwa gehörte, weinte er still.
    Als wir weiterfuhren, starrte der Fahrer immer wieder im Rückspiegel auf mein hageres, ausgemergeltes, misshandeltes Gesicht. Schließlich fragte ich ihn, ob er vielleicht Bollywood-Songs habe, die wir hören könnten, was er völlig verblüfft bejahte. Ich nannte ihm einen meiner Lieblingssongs, den er auch fand, und dann drehte er die Lautstärke voll auf, während wir uns knatternd und hupend durch den Verkehr schlängelten. Es war eines der Lieder, die abends in der langen Zelle von einer Gruppe Häftlingen zur anderen gewandert waren. Sie hatten es fast jeden Abend gesungen. Jetzt, als mich das Taxi in die Gerüche, die Farben und Klänge meiner Stadt zurückbrachte, sang ich mit. Der Fahrer stimmte ein und schaute dabei immer wieder in den Rückspiegel. Niemand kann lügen oder sich verstellen, wenn er singt, und die Inder lieben vor allem jene Lieder, die wir brauchen, wenn Tränen nicht mehr genug sind.
    Das Lied klang noch in meinem Innern nach, als ich meine Kleider in einen Plastikmüllsack steckte und unter den warmen kräftigen Wasserstrahl von Vikrams Dusche trat. Ich kippte mir eine ganze Flasche Desinfektionsmittel über den Kopf und rieb es mir mit einer harten Nagelbürste in die Haut. All die tausend Risse, Bisse und Wunden kreischten förmlich auf, doch meine Gedanken waren bei Karla. Vikram hatte mir erzählt, dass sie zwei Tage zuvor die Stadt verlassen hatte. Niemand schien zu wissen, wohin sie gegangen war.

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