Shantaram
säße und mir angetan würde, was sie dir angetan haben, dann würde ich die Inder auf immer und ewig hassen. Und zwar alle.«
»Aber ich hasse sie nicht. Ich liebe sie. Ich liebe dieses Land, ich liebe diese Stadt.«
»Du willst doch wohl nicht sagen, dass du keine Rache willst, Lin.«
»Natürlich will ich Rache. Du hast recht. Ich würde mir so sehr wünschen, dass du nicht recht hättest. Und dass ich ein besserer Mensch wäre. Aber ich will mich nur an einer einzigen Person rächen – an der, die mich in diese Lage gebracht hat. Nicht am ganzen indischen Volk.«
»Tja, wir sind nun mal verschieden«, sagte er ausdruckslos und starrte auf die fernen Lichter der Raffinerien, die der Küste vorgelagert waren. »Du verstehst das nicht. Du kannst es nicht verstehen.«
»Was ich verstehe, ist, dass der Hass einen umbringt, Khaled, wenn man nicht irgendwann von ihm lassen kann.«
»Nein, Lin«, antwortete er und suchte meinen Blick in der schummerigen Taxibeleuchtung. Seine Augen glänzten, und in seinem zernarbten Gesicht leuchtete ein gebrochenes Lächeln. Seine Miene ähnelte der von Vikram, wenn er über Lettie sprach, oder der von Prabaker, wenn er von Parvati redete. Es war die Art von Gesichtsausdruck, die manche Menschen haben, wenn sie über ihre Gotteserfahrung sprechen.
»Mein Hass hat mich gerettet«, sagte er leise, aber mit fiebriger Inbrunst. Weiche amerikanische Vokale in Verbindung mit den rauen Konsonanten des Arabischen gaben seiner Stimme einen Klang, der irgendwo zwischen Omar Sharif und Nicolas Cage lag. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, in einem anderen Leben hätte Khaled auf Arabisch und Englisch Gedichte rezitiert und alle Zuhörer beglückt und zu Tränen gerührt. »Hass ist unverwüstlich, weißt du. Er ist nicht unterzukriegen. Ich musste meinen Hass lange verbergen. Die Leute konnten nicht damit umgehen. Er war ihnen unheimlich. Also habe ich meinen Hass verdrängt. Es ist schon seltsam: Ich war jahrelang ein Flüchtling – bin es sogar immer noch –, und meinem Hass ging es genauso. Er hat außerhalb von mir existiert. Meine Familie … meine ganze Familie wurde umgebracht … vergewaltigt und abgeschlachtet … ich habe andere Menschen getötet … habe sie erschossen, ihnen die Kehle durchgeschnitten … und mein Hass hat irgendwo da draußen überlebt. Mit der Zeit ist er immer stärker und härter geworden. Und dann, eines Tages, als ich schon für Khader arbeitete und sowohl Geld als auch Macht hatte, bin ich aufgewacht und habe gespürt, wie der Hass wieder in mich hineinkriecht. Und da ist er jetzt, in mir drin, genau da, wo er hingehört. Und ich bin froh darüber. Ich genieße ihn. Ich brauche ihn, Lin. Er ist stärker als ich. Er ist tapferer als ich. Mein Hass ist mein Held.«
Einen Moment lang starrte er mich mit fanatischem Blick an, dann wandte er sich dem Fahrer zu, der am Steuer döste.
»Challo, bhai!«, bellte er. Los, Bruder!
Nach einer Weile brach er das Schweigen mit einer Frage.
»Hast du von der Sache mit Indira gehört?«
»Ja, im Radio. Im Leopold’s.«
»Khaders Männer in Delhi haben die Einzelheiten in Erfahrung gebracht. Die Insiderstory. Sie ist auf ziemlich scheußliche Weise umgekommen.«
»Ach ja?«, erwiderte ich, in Gedanken noch bei Khaleds Ode an den Hass. Die Details von Indiras Ermordung interessierten mich nicht sonderlich, aber ich war froh, dass er das Thema gewechselt hatte.
»Heute Morgen gegen neun Uhr ist sie zu einer der Sicherheitsschleusen ihrer Residenz gegangen – der offiziellen Residenz der Premierministerin. Vor den beiden Sikh-Leibwächtern am Tor hat sie noch die Hände zum Gruß aneinandergelegt. Sie kannte diese Männer, weißt du. Sie waren im Dienst, weil sie selbst darauf bestanden hatte. Nach dem Goldenen Tempel, nach Bluestar, hatte man ihr geraten, keine Sikhs mehr in ihrem Sicherheitskommando arbeiten zu lassen. Doch sie bestand darauf, denn sie konnte nicht glauben, dass ihre loyalen Sikh-Leibwächter sich gegen sie stellen würden. Sie hatte es einfach nicht kapiert – wie viel Hass sie ihnen eingeflößt hatte, als sie der Armee befahl, den Goldenen Tempel zu stürmen. Na ja, sie legte also die Hände zum Gruß zusammen, lächelte die beiden an und sagte ›Namaste‹. Daraufhin zog der eine Leibwächter seine Dienstwaffe, einen Revolver Kaliber .38, und feuerte drei Schüsse ab. Sie wurde am Bauch getroffen, im Unterleib und sackte auf dem Gartenweg in sich zusammen. Der zweite
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