Shantaram
Leibwächter hat sein Maschinengewehr auf sie gerichtet. Er hat das ganze Magazin leer geschossen. Dreißig Schuss. Es war ein altes Modell, das aber auf kurze Distanz eine unglaubliche Wucht entfaltet. Mindestens drei Kugeln haben sie im Unterleib getroffen, drei in der Brust, und eine ging direkt ins Herz.«
Wir fuhren schweigend weiter. Dann war ich es, der das Schweigen brach.
»Was meinst du, wie der Geldmarkt reagieren wird?«
»Ich glaube, die Sache wird gut fürs Geschäft«, antwortete er nüchtern. »Sofern die Nachfolge geklärt ist – aber das ist sie ja in diesem Fall mit Rajiv –, sind Attentate immer gut fürs Geschäft.«
»Aber es wird Krawalle geben. Schon jetzt ist doch von Banden die Rede, die auf Sikhs Jagd machen. Und auf dem Weg hierher habe ich eine morcha gesehen, eine Riesendemonstration.«
»Ja, ich auch.« Er wandte sich mir zu. Seine Augen waren dunkel, fast schwarz, und offenbarten das ganze Ausmaß seiner vorsätzlichen Verhärtung. »Aber selbst das ist gut fürs Geschäft. Je mehr Krawalle es gibt und je mehr Menschen ums Leben kommen, desto größer wird die Nachfrage nach Dollars sein. Wir erhöhen morgen früh die Kurse.«
»Es könnte sein, dass die Straßen verstopft sind. Wenn es Morchas oder Krawalle gibt, könnte es schwierig werden, von A nach B zu kommen.«
»Ich hole dich morgen früh um sieben bei dir zu Hause ab, dann fahren wir direkt zu Rajubhai.« Er meinte die Räumlichkeiten im Fort-Viertel, wo unter Aufsicht von Raju das Schwarzgeld der Mafia gezählt wurde. »Mich werden sie nicht aufhalten. Mein Wagen kommt durch. Hast du übrigens gleich noch was vor?«
»Du meinst, wenn wir das Geld von den Einnehmern abgeholt haben?«
»Ja. Hast du dann noch ein bisschen Zeit?«
»Klar. Was soll ich machen?«
»Setz mich ab und behalte das Taxi.« Er lehnte sich mit einem erschöpft und niedergeschlagen klingenden Seufzer zurück. »Mach die Runde. Sag den Jungs, dass sie morgen früh zu Rajubhai kommen sollen. Versuch, so viele wie möglich aufzutreiben und sag ihnen Bescheid. Wenn es hart auf hart kommt, brauchen wir jeden einzelnen.«
»Okay, ich kümmere mich darum. Du solltest ein bisschen schlafen, Khaled. Du siehst müde aus.«
»Ich glaube, das mache ich auch«, erwiderte er lächelnd. »In den nächsten paar Tagen werde ich wohl kaum dazu kommen.«
Er schloss einen Moment lang die Augen und entspannte sich. Doch dann fuhr er plötzlich hoch und schnüffelte.
»Verdammt, was ist das denn für ein Geruch, Mann? Ist das ein Aftershave oder was? Da hab ich ja schon Tränengas abgekriegt, das besser gerochen hat!«
»Frag lieber nicht«, antwortete ich, während ich mit zusammengebissenen Zähnen ein Grinsen unterdrückte und an dem Fleck von Prabakers Parfum auf meinem Hemd herumrieb. Khaled lachte und blickte ins sternenlose Dunkel hinaus, wo Nacht und Meer zusammentrafen.
Früher oder später bringt das Schicksal uns mit all jenen Menschen zusammen, die uns zeigen, was im schlimmsten Falle aus uns hätte werden können. Früher oder später begegnen wir dem Trinker, dem Tagedieb, dem Betrüger, dem skrupellosen Geist und dem hasserfüllten Herzen. Doch das Schicksal spielt mit falschen Karten, denn für gewöhnlich lieben wir diese Menschen dann oder bedauern sie. Aber es ist unmöglich, jemanden zu verachten, den man aufrichtig bedauert, und es ist unmöglich, jemanden zu ächten, den man wirklich liebt. Das Taxi brachte uns zu unserem Gewerbe, dem Verbrechen, und ich saß neben Khaled in der Dunkelheit. Ich saß neben ihm inmitten der bunten Schatten, und ich liebte seine Ehrlichkeit und seine Kraft und seine Härte, und gleichzeitig bedauerte ich ihn, weil der Hass ihn belog und schwächte. Und sein Gesicht, das die Nacht spiegelte, die durch die Fenster fiel, war so durchdrungen vom Schicksal und so leuchtend wie einst auf Gemälden das Antlitz von Heiligen, die dem Untergang geweiht sind.
D REIUNDZWANZIGSTES K APITEL
S obald es um Rechtsfragen geht, herrscht überall auf der Welt, in jeder beliebigen Gesellschaft, die gleiche Herangehensweise«, erklärte mir Abdel Khader Khan, mein Mafia-Boss und Ersatzvater, als ich ein halbes Jahr in seinen Diensten stand. »Unsere Gesetze, Ermittlungen, Anklagen und Strafen orientieren sich daran, inwieweit eine Sünde ein Verbrechen ist, nicht daran, inwieweit ein Verbrechen eine Sünde ist.«
Wir saßen im geschäftigen, feuchtwarmen, von wunderbaren Düften erfüllten Restaurant »Saurabh« im
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