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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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seinen Wagen in den dichten Verkehr. Ich hörte seine Hupe einen musikalischen Abschiedsgruß schmettern, dann war er verschwunden.
    Khaled Ansari wartete fünfzig Meter weiter in unserem gemieteten Taxi. Er saß auf der Rückbank. Beide Türen standen offen, damit Luft hereinkam. Ich war pünktlich, und er konnte nicht mehr als fünfzehn oder zwanzig Minuten gewartet haben, aber auf dem Boden neben der offenen Taxitür lagen bereits zehn Kippen. Jede einzelne davon, das wusste ich, war ein Feind, den er mit dem Absatz zermalmt hatte, eine brutale Wunschvorstellung, eine Fantasie von dem Leid, das er denen, die er hasste, eines Tages antun würde.
    Und derer gab es viele. Zu viele. Seine Gewaltfantasien waren so realistisch, hatte er mir einmal erzählt, dass ihm manchmal übel davon wurde. Seine Wut steckte ihm als Dauerschmerz in den Knochen. Der Hass verkrampfte ihm die Kiefer, die seinen Zorn zermahlten und zerbissen. Es musste ein bitterer Geschmack sein, der Tag und Nacht, rund um die Uhr auf seinem Gaumen lastete, so bitter wie der Geschmack des geschwärzten Messers, das er sich als Fatah-Kämpfer zwischen die Zähne geklemmt hatte, als er über den unebenen Boden zu seinem ersten Mordopfer kroch.
    »Irgendwann bringt dich das noch um, Khaled.«
    »Na gut, ich rauche zu viel. Und? Wer will schon ewig leben!«
    »Ich meine nicht die Zigaretten. Ich meine das, was in dir vorgeht. Das, was dich zum Kettenraucher macht. Das, was du dir durch deinen Hass auf das Leben selbst antust. Jemand hat mir mal gesagt: Wer sein Herz zur Waffe macht, richtet sie letzten Endes immer gegen sich selbst.«
    »Du bist grade der Richtige, um mir eine Predigt zu halten, Bruder«, sagte er und lachte. Dieses kleine Lachen. Dieses traurige Lachen. »Du bist auch nicht gerade der scheiß Weihnachtsmann, Lin.«
    »Khader hat mir von … von Shatila erzählt.«
    »Was hat er dir erzählt?«
    »Dass du … dass du deine Familie dort verloren hast. Das muss verdammt hart gewesen sein.«
    »Was weißt du davon?«
    Er stellte die Frage nicht aus Streitlust, und ich glaube auch nicht, dass er tatsächlich eine Antwort darauf erwartete, aber es lag zu viel Schmerz darin, zu viel von seinem Schicksal, als dass ich sie hätte übergehen können.
    »Ich weiß über Sabra und Shatila Bescheid, Khaled. Ich habe mich schon immer für Politik interessiert. Als das damals passierte, war ich auf der Flucht, aber ich habe die Nachrichten genau verfolgt, all die Monate lang. Es war eine … eine entsetzliche Geschichte.«
    »Ich habe mal ein jüdisches Mädchen geliebt, weißt du?«, sagte Khaled.
    Ich antwortete nicht.
    »Sie war … schön und klug und … ich weiß nicht, vielleicht auch der bezauberndste Mensch, dem ich jemals begegnen werde. Es war in New York. Wir haben zusammen studiert. Ihre Eltern waren Reformjuden – sie haben Israel unterstützt, aber sie waren gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete. Ich war mit diesem Mädchen zusammen und habe mit ihr geschlafen, während mein Vater in einem israelischen Gefängnis starb.«
    »Du kannst dir doch nicht zum Vorwurf machen, dass du verliebt warst, Khaled. Und du darfst dir nicht die Schuld geben an dem, was andere Menschen deinem Vater angetan haben.«
    »Oh doch«, erwiderte er mit diesem traurigen kleinen Lächeln. »Jedenfalls bin ich gerade rechtzeitig zum Oktoberkrieg nach Hause zurückgekehrt – den die Israelis Jom-Kippur-Krieg nennen. Wir wurden vernichtend geschlagen. Ich bin nach Tunis geflüchtet und dort ausgebildet worden. Ich habe angefangen zu kämpfen und immer weitergekämpft, bis Beirut. Als die Israelis einmarschiert sind, haben wir in Shatila Stellung bezogen. Meine ganze Familie war da, und viele meiner Nachbarn von früher. Sie alle, wir alle, waren Flüchtlinge, wir wussten nicht, wohin wir sonst gehen sollten.«
    »Bist du zusammen mit den anderen Kämpfern evakuiert worden?«
    »Ja. Sie konnten uns nicht schlagen, und deshalb haben sie einen Waffenstillstand ausgehandelt. Als wir dann die Lager verlassen haben, nahmen wir unsere Waffen mit, weißt du, weil wir demonstrieren wollten, dass wir nicht besiegt wurden. Wir sind wie Soldaten marschiert, und es wurde beliebig herumgeschossen. Einige Menschen sind beim Zuschauen ums Leben gekommen. Es war total seltsam, wie eine Art Parade oder irgendeine absonderliche Feierlichkeit, weißt du? Und dann, als wir weg waren, haben sie alle Versprechen gebrochen und die Falangisten in unser Lager geschickt, und die

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