Shantaram
eine Waschmaschine und einen Trockner. Außerdem gab es einen Balkon mit schmiedeeisernem Gitter, der auf den großen verkehrsreichen Platz rund um die Flora Fountain hinausging.
»Der Mann heißt Anand Rao«, berichtete ich, während ich den starken Espresso schlürfte, den sie mir zubereitet hatte. »Er hat früher im Slum mit einem Typen namens Rashid zusammengewohnt. Die beiden waren meine Nachbarn, als ich noch dort lebte. Dann kamen eines Tages Rashids Frau und ihre Schwester aus ihrem Dorf in Rajasthan, und Anand zog aus, um Platz für die beiden Schwestern zu machen.«
»Warte mal«, unterbrach mich Kavita. »Ich schreibe lieber gleich mit.«
Sie stand auf und trat an ihren breiten, unordentlichen Schreibtisch, um Block und Stift sowie ein kleines Aufnahmegerät zu holen. Sie hatte sich umgezogen und trug nun eine Pluderhose und ein Trägerhemd. Während ich ihre schnellen, zielstrebigen und anmutigen Bewegungen verfolgte, wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie schön sie eigentlich war. Sie machte das Aufnahmegerät startklar und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Sessel. Als sie ihren Stift zückte, merkte sie, dass ich sie anstarrte.
»Was ist?«, fragte sie.
»Nichts.« Ich lächelte. »Okay, also: Anand Rao hat Rashids Frau und deren Schwester kennen gelernt und fand sie nett. Sie waren schüchtern, aber auch freundlich und fröhlich und liebenswürdig. Wenn ich richtig zwischen den Zeilen lese, hat sich Anand wohl ein bisschen in die Schwester verliebt. Eines Tages hat Rashid jedenfalls zu seiner Frau gesagt, sie könnten den kleinen Laden, den sie eröffnen wollten, nur finanzieren, wenn er in einer Privatklink, von der er wusste, eine seiner Nieren verkaufte. Sie war dagegen, aber er hat sie schließlich davon überzeugt, dass das ihre einzige Chance war.
Als er dann aus dem Krankenhaus zurückkam, erzählte er ihr, dass er eine gute und eine schlechte Nachricht hätte. Die gute sei, dass das Krankenhaus auf jeden Fall eine Niere haben wolle. Die schlechte sei, dass sie keine Männerniere, sondern eine Frauenniere wollten.«
»Oh Mann«, sagte Kavita kopfschüttelnd.
»Ja. Ein nobler Charakter. Na ja, seine Frau sträubte sich verständlicherweise erst mal, aber letztlich konnte Rashid sie überreden, und sie ließ sich die Niere herausoperieren.«
»Weißt du, wo das genau war?«, fragte Kavita.
»Ja. Anand Rao hat alles in Erfahrung gebracht und es Qasim Ali mitgeteilt, dem Slumältesten. Der kennt die ganzen Einzelheiten. Also, als Rashids Frau aus dem Krankenhaus zurückkam, erfuhr Anand Rao von der Sache und wurde fuchsteufelswild. Er kannte Rashid gut – schließlich hatten die beiden ja zwei Jahre zusammengewohnt – und wusste, dass Rashid ein krummer Hund ist. Er stellte ihn zur Rede, aber das brachte alles nichts. Rashid drehte daraufhin total durch. Er übergoss sich mit Kerosin und forderte Anand auf, ihn anzuzünden, wenn er ihn für so einen schlechten Kerl hielte. Anand tat natürlich nichts dergleichen. Stattdessen ermahnte er ihn nur, sich ordentlich um die Frauen zu kümmern, und ließ die Sache auf sich beruhen.«
»Wann ist das alles passiert?«
»Die Operation war vor einem halben Jahr.Wie auch immer,als Nächstes erzählte Rashid seiner Frau, dass er mittlerweile schon zwanzig Mal versucht hätte, dem Krankenhaus seine eigene Niere zu verkaufen, dass die sie aber nicht haben wollten. Und er wollte ihr weismachen, dass der Verkauf ihrer Niere ihnen nur halb so viel eingebracht hätte, wie sie für ihren kleinen Laden bräuchten. Frauennieren wären aber immer noch gefragt – und deshalb versuchte er seine Frau nun davon zu überzeugen, dass auch ihre Schwester eine Niere verkaufen sollte. Die Frau war dagegen, aber Rashid begann daraufhin die jüngere Schwester zu bearbeiten und sagte ihr, wenn sie ihre Niere nicht verkaufen würde, hätte sich seine Frau ganz umsonst operieren lassen. Irgendwann gaben die beiden Frauen nach. Rashid brachte die Schwester in die Klinik, und sie kam mit einer Niere weniger zurück.«
»Toller Typ«, murmelte Kavita.
»Das kannst du sagen. Ich habe ihn nie gemocht. Er war einer von denen, die aus taktischen Gründen lächeln, weißt du, nicht weil sie tatsächlich was empfinden, das sie zum Lächeln bringt. So ähnlich wie wenn Schimpansen lächeln.«
»Und was ist dann passiert? Ich nehme an, er hat sich mit dem Geld aus dem Staub gemacht?«
»Ja. Rashid ist mit dem Geld verschwunden. Die beiden Schwestern waren am
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