Shantaram
die Herkunft und das Annehmen des Geldes betraf, achtete Abdul Ghani mit abergläubischer Penibilität auf seine korrekte Weiterverwendung. Jeder Dollar, den die Unterstützung dieser grausigen Klientel einbrachte, floss in ein Flüchtlingsprogramm für iranische und afghanische Kriegsvertriebene, das Khaderbhai ins Leben gerufen hatte. Jeder Pass, der von Warlords oder deren Apparatschiks gekauft wurde, verschaffte fünfzig iranischen oder afghanischen Flüchtlingen Bücher, Ausweise oder Reisedokumente. Angst und Gier treiben oft paradoxe Blüten. So auch im Falle von Khaderbhais Geschäftspolitik: Die von den Tyrannen bezahlten überhöhten Preise für gefälschte Papiere ermöglichten letztendlich die Rettung genau jener Menschen, die sie vorher ins Elend gestürzt hatten.
Krishna und Villu brachten mir alles bei, was sie über das Dokumentefälschen wussten, und bald begann ich zu experimentieren und mir mithilfe amerikanischer, kanadischer, niederländischer, deutscher und britischer Bücher neue Identitäten zuzulegen. Meine Arbeit war nicht so gut wie ihre und würde es auch niemals werden. Gute Fälscher sind Künstler, und ihr Werk muss den verschmierten Buchstaben mit derselben Sorgfalt nachbilden wie eine manipulierte oder neu eingefügte Einzelheit bei den Personalien. Erst die kleinen Schönheitsfehler verleihen jedem einzelnen Blatt seine Authentizität. Jede Seite eines Passes ist eine Miniatur, ein Ausdruck der Kunstfertigkeit ihres Schöpfers. Der Winkel eines schief aufgebrachten Stempels und das leicht Verwischte eines anderen sind bei diesen kleinen Kunstwerken so bedeutsam wie Form, Lage und Farbe einer herabgefallenen Rose auf einem Porträt der alten Meister. Mit welcher Kunstfertigkeit sie auch umgesetzt wird – die Wirkung eines Werks hat ihren Ursprung immer in der Intuition des Künstlers. Und Intuition kann man nicht lernen.
Meine Fähigkeiten kamen dann zum Einsatz, wenn es darum ging, für ein neu erschaffenes Buch die passende Geschichte zu erfinden. Oft klafften zwischen den Ein- und Ausreisenachweisen in den Pässen, die wir von Ausländern bekamen, Lücken von Monaten oder sogar Jahren. So mancher Passinhaber war weit über die Gültigkeitsdauer seines Visums hinaus in Indien geblieben, und diese illegale Zeitspanne musste getilgt werden, damit der Pass benutzt werden konnte. Nachdem ich einen Ausreisestempel vom Bombayer Flughafen mit einem Datum vor dem Visumsablauf eingefügt hatte – sodass es aussah, als hätte der Passinhaber zum korrekten Zeitpunkt das Land verlassen –, machte ich mich bei jedem Pass daran, mithilfe des eindrucksvollen Sortiments von Ein- und Ausreisestempeln, die Villu angefertigt hatte, eine Reiseroute zu erstellen, deren Abschluss ein neues Visum für Indien samt Einreisestempel des Bombayer Flughafens bildeten.
Die Ein- und Ausreisen, die wir mittels der Stempel fingierten, waren immer genauestens abgesichert. Krishna und Villu hatten eine Sammlung von Flugverzeichnissen der großen Airlines, in denen sämtliche Fern- und Inlandsflüge mit Abflug- und Ankunftszeit aufgeführt waren. Wenn wir etwa einen britischen Pass mit einem Stempel versahen, dem zu entnehmen war, dass der oder die Reisende am vierten Juli in Athen eingereist war, dann hatten wir genau nachgeprüft, ob an diesem Tag auch wirklich ein Flugzeug von British Airways in Athen gelandet war. So wurde jeder Pass mit einer persönlichen Reisegeschichte ausgestattet, die nicht nur durch Flugpläne, sondern auch durch sorgfältig recherchierte Hintergrundinformationen zu Flugverlauf und Reisewetter gestützt wurde und dazu diente, die Glaubwürdigkeit des neuen Passinhabers zu gewährleisten.
Zum ersten Mal erprobte ich einen meiner selbstgefälschten Pässe, als ich das sogenannte Abklatsch-Kunststück auf der Inlands-Transferroute vollführte. Tausende iranischer und afghanischer Flüchtlinge in Bombay versuchten in Kanada, Australien, den USA und anderswo Asyl zu finden, doch die Regierungen dieser Länder weigerten sich, ihre Asylanträge zu bearbeiten. Wenn es den Flüchtlingen jedoch gelang, irgendwie in eines der Länder einzureisen, konnten sie an Ort und Stelle Asyl beantragen und wurden dann dem Anerkennungsverfahren unterworfen. Da sie ja tatsächlich politische Flüchtlinge und damit anspruchsberechtigte Asylsuchende waren, wurden ihre Eingaben oft positiv beschieden. Das Kunststück bestand also darin, sie über die Grenzen nach Kanada, Schweden oder wo immer sie hin wollten,
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