Shantaram
erstbesten Maschine zurück nach Bombay flog und mich bei Abdul Ghani meldete.
Diese Mission brachte mir zehntausend US-Dollar ein sowie unbezahlbare praktische Erfahrung und erste Kontakte mit der afrikanischen Abteilung von Ghanis Netzwerk. Die Erfahrung und die Kontakte, fand ich damals, waren das Risiko allemal wert. Das Geld dagegen war mir nicht wichtig. Ich hätte den Auftrag auch für die Hälfte oder noch weniger ausgeführt. Nicht zuletzt, weil ich wusste, dass die meisten Menschenleben in Bombay lange nicht so viel wert waren.
Und dann war da noch der Kick der Gefahr. Für manche Leute ist Gefahr eine Art Droge oder sogar ein Aphrodisiakum. Für mich, der ich immer auf der Flucht war und Tag und Nacht in der Angst lebte, umgebracht oder festgenommen zu werden, war Gefahr etwas anderes. Sie war eine der Lanzen, die ich benutzte, um den Drachen Stress zu töten. Sie half mir zu schlafen. Wenn ich an gefährlichen Orten gefährliche Dinge tat, ergriff eine neue, ganz andere Angst von mir Besitz. Diese neue Form der Angst überdeckte die Furcht, die mich sonst so oft aus dem Schlaf aufschrecken ließ. Und wenn mein Auftrag dann ausgeführt war und die neue Angst verebbte, übermannte mich friedliche Erschöpfung.
Mit dieser Gier auf gefährliche Jobs stand ich nicht allein. Im Laufe meiner Mission begegnete ich anderen Agenten, Schmugglern und Söldnern, deren erregter Blick genau dem meinen glich und deren adrenalingesteuerte Reflexe mit meinem identisch waren. Wie ich flüchteten sie vor etwas und fürchteten etwas, das sie nicht vergessen, dem sie sich aber auch nicht stellen konnten. In ihrer Not halfen ihnen nur Aufträge mit Gefahrenzulage – Aufträge, bei denen sie Leib und Leben riskierten –, um für ein paar Stunden Frieden und Schlaf zu finden.
Auch meine zweite, dritte und vierte Mission nach Afrika gingen glatt über die Bühne. Ich benutzte drei verschiedene Pässe, wählte für Abflug und Landung in Indien jedes Mal einen anderen internationalen Flughafen und kehrte dann mit einem Inlandsflug nach Bombay zurück. Die Abklatsch-Flüge zwischen Bombay und Delhi liefen zu dieser Zeit parallel weiter. Weil ich überdies noch für Khaleds Devisenschieber und einige Goldhändler bestimmte Sonderaufgaben erledigte, war ich dauernd beschäftigt – jedenfalls beschäftigt genug, um nicht zu lange und intensiv an Karla denken zu müssen.
Gegen Ende der Regenzeit machte ich einen Besuch im Slum und begleitete Qasim Ali auf seinem täglichen Rundgang. Als er die Abflussgräben inspizierte und Reparaturen an beschädigten Hütten anordnete, musste ich daran denken, wie sehr ich ihn damals bewunderte und ihm vertraute, als ich selbst im Slum lebte. In neuen Stiefeln und schwarzen Jeans schritt ich neben ihm her und sah den barfüßigen jungen Männern in Lungis zu, die mit bloßen Händen in der Erde gruben und scharrten, wie ich es damals auch getan hatte. Ich sah zu, wie sie die Böschungsmauern befestigten und die verstopften Abflüsse reinigten, damit der Slum bis zum Ende der Regenfälle vor Überschwemmungen sicher war. Und ich beneidete sie. Ich beneidete sie um die Wichtigkeit ihrer Arbeit und die ernste Hingabe, mit der sie sich ihr widmeten. Sie war mir einst sehr vertraut gewesen, diese leidenschaftliche, bedingungslose Hingabe. Auch ich war mit dem stolzen und dankbaren Lächeln der Slumbewohner belohnt worden, als die schmutzige Arbeit schließlich getan war. Doch dieses Leben mit all seinen Vorzügen und dem unschätzbaren Trost, den es bot, war vorbei für mich. So fern und unwiederbringlich verloren wie mein früheres Leben in Australien.
Qasim, der meine düstere Stimmung vielleicht spürte, lenkte unsere Schritte zu einem unbebauten Gelände, auf dem Prabaker und Johnny mit den ersten Vorbereitungen für ihre beiden Hochzeiten beschäftigt waren. Johnny baute mit ein paar Nachbarn das Gestänge einer shamiana auf, eines großen offenen Zelts, in dem die Trauungszeremonie stattfinden würde. Ein Stück davon entfernt errichteten einige Männer ein kleines Podest, auf dem die beiden frischvermählten Paare sitzen und ihre Hochzeitsgeschenke entgegennehmen würden. Johnny begrüßte mich herzlich und berichtete, dass Prabaker mit seinem gemieteten Taxi unterwegs sei und erst nach Sonnenuntergang zurückkehren würde. Dann umrundeten wir gemeinsam das Zeltgestell, inspizierten es und diskutierten über die jeweiligen Vorzüge und Kosten einer Plastik- oder einer Stoffabdeckung.
Johnny
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