Shantaram
ist es nötig, dass wir sie mit Waffen unterstützen und auch mit meinem Blut, sollte es vonnöten sein.«
Khader blickte mir ins Gesicht und sah den kalten Schweiß, das Zittern, das meine Augen trübte. Er lächelte wieder und presste seine Finger in meine Schulter, bis dieser Schmerz, diese Berührung alles war, was ich empfand.
»Doch zuerst musst du gesund werden«, sagte er, löste seine Finger von meiner Schulter und berührte mit der Handfläche mein Gesicht. »Allah sei mit dir, mein Sohn. Allah ya fazak!«
Als er gegangen war, schleppte ich mich zur Toilette. Die Schmerzen schlugen ihre Adlerklauen in meinen Bauch und verdrehten meine Eingeweide. Ich wurde von Durchfallkrämpfen geschüttelt. Als ich mich wusch, zitterte ich so hilflos, dass meine Zähne aufeinander schlugen. Im Spiegel sah ich, dass meine Iris verschwunden war, weil meine Pupillen so erweitert waren. Wenn das Licht zurückkehrt, wenn das Heroin entzogen wird und der Affe zuschlägt, überflutet es die schwarzen Trichter der Augen.
Mit einem Handtuch um die Hüften ging ich in den großen Wohnraum zurück. Ich war abgemagert, zitterte und ging gebückt, und unwillkürlich entfuhr mir ein Stöhnen. Nasir musterte mich mit verächtlich gekräuselter Oberlippe und überreichte mir einen Stapel Kleider, exakt dieselben grünen afghanischen Kleidungsstücke, die Khader getragen hatte. Zittrig zog ich sie an und verlor dabei ein paar Mal das Gleichgewicht. Nasir starrte mich unverwandt an, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Seine Oberlippe war durch das höhnische Lächeln so gekräuselt wie der Rand einer Venusmuschel. Seine Gesten und seine Mimik wirkten so drastisch und übertrieben wie eine Pantomime, aber der Blick in seinen dunklen Augen war furchterregend. Plötzlich fiel mir auf, dass er mich an den japanischen Schauspieler Toshiro Mifune erinnerte. Nasir war eine hässliche trollartige Karikatur von Mifune.
»Kennst du Toshiro Mifune?«, fragte ich mit einem verzweifelten gequälten Lachen. »Kennst du Mifune? Hm?«
Seine Antwort bestand darin, zur Haustür zu stapfen und sie aufzureißen. Dann zog er ein paar Fünfzig-Rupien-Scheine aus der Tasche und feuerte sie zu Boden.
»Jaa, bahinchudh!«, knurrte er und wies auf die offene Tür. Geh, du Schwesterschänder!
Ich schleppte mich zu dem Berg Kissen an der Fensterfront und sank darauf. Zog eine Decke über mich und krümmte mich, von Krämpfen gewürgt. Nasir schloss die Haustür und nahm wieder seine Position auf dem Teppichstück ein. Aufrecht und mit verschränkten Beinen saß er da und beobachtete mich.
Wir alle bewältigen Angst und Stress bis zu einem gewissen Grad mithilfe eines körpereigenen Cocktails aus Stoffen, die ans Hirn gesandt werden. Chef dieser Stoffgruppe sind die Endorphine, Peptidneurotransmitter mit schmerzstillender Wirkung. Bei Angst, Stress und Schmerzen werden vermehrt Endorphine als natürliches Hilfsmittel ausgeschüttet. Sobald wir Opiate zu uns nehmen – Morphium, Opium und besonders Heroin –, stellt der Körper die Endorphinproduktion ein. Wenn wir die Zufuhr von Opiaten abbrechen, gibt es eine Zwischenzeit von etwa fünf bis zu vierzehn Tagen, bevor der Körper wieder beginnt Endorphine auszuschütten. In dieser Zwischenzeit, in dieser lichtlosen grausamen Kammer, jenen ein bis zwei Wochen ohne Heroin und ohne Endorphine, erfährt man, was Angst, Stress und Schmerzen wirklich sind.
Wie ist das, wenn man den Affen hat?, fragte mich Karla einmal. Dazu sollte man sich an alle Momente im eigenen Leben erinnern, in denen man wirklich Angst hatte. Man denkt, man sei alleine, und jemand schleicht sich von hinten an und schreit plötzlich los. Eine Schlägerbande umzingelt einen. Man stürzt im Traum in die Tiefe oder steht am Rande einer steilen Klippe. Jemand drückt einen unter Wasser, man bekommt keine Luft mehr und kämpft nach Leibeskräften, um zurück an die Oberfläche zu kommen. Man verliert die Kontrolle über seinen Wagen und rast auf eine Mauer zu, während man im Traum versucht zu schreien. Diese bedrohlichen Szenen sollte man zusammennehmen und gleichzeitig fühlen, Stunde um Stunde und Tag um Tag. Und man sollte an jeden Schmerz denken, den man jemals empfunden hat: mit heißem Öl verbrennen, an scharfem Glas schneiden, Knochenbruch, die Schürfung, wenn man im Winter auf der rauen Straße hinfällt, Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen, Zahnschmerzen. Dann sollte man all diese Schmerzen zusammennehmen, die einem jemals durch Mark und
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