Shantaram
wahr, ein betörendes Parfum. Coco. Ich kannte es gut. Karla. Der Duft von Karlas Haut. Nasir hatte mich auf die Schulter geladen, mich die Treppe bei Gupta-ji hinuntergeschleppt und auf den Rücksitz eines Taxis verfrachtet. Karla war hier. Mein Kopf ruhte in ihrem Schoß. Und als ich die Augen aufschlug, blickte ich in ihr bezauberndes Gesicht. Mitleid, Sorge und noch ein anderes Gefühl las ich in den grünen Augen. Ich dämmerte weg, und in der bewegten Dunkelheit wusste ich plötzlich, was dieses andere Gefühl war. Ekel. Sie war angeekelt von meiner Schwäche, meiner Heroinsucht, meinem Gestank nach Verwahrlosung und Selbstmitleid. Dann spürte ich ihre Hände auf meinem Gesicht, und es war, als würde ich weinen, und ihre Finger, die mir über die Wangen strichen, waren die Tränen.
Als das Taxi anhielt, beförderte Nasir mich so mühelos zwei Steintreppen hinauf, als habe er sich nur einen Sack Mehl auf die Schulter geladen. Ich kam zu mir, während er mich trug, und entdeckte Karla hinter uns. Ich versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Wir betraten ein großes Haus durch eine Hintertür, die in eine moderne geräumige Küche führte. Hinter der Küche befand sich ein ausladendes Wohnzimmer mit einer Glaswand, durch die man auf einen goldfarbenen Strand und das dunkle saphirblaue Meer blickte. Nasir ließ mich behutsamer, als ich erwartet hätte, auf einen Kissenberg an der Glaswand sinken. Der letzte Schuss, den ich mir vor dieser Entführung gesetzt hatte, war stark gewesen. Zu stark. Ich war völlig erledigt und dämmerte immer wieder weg. Das Verlangen, die Augen zu schließen und mich der Dröhnung zu ergeben, schwappte in heftigen Wellen über mich.
»Versuch nicht aufzustehen«, sagte Karla. Sie kniete neben mir und wusch mir das Gesicht mit einem feuchten Tuch.
Ich lachte, denn nach Aufstehen war mir nun gar nicht zumute. Beim Lachen spürte ich weit entfernt, durch das wattige Gefühl hindurch, einen Anflug von Schmerzen an Kinn und Kiefer.
»Was ist los, Karla?«, fragte ich, mit knarrender, brüchiger Stimme. Nach den drei Monaten, die ich schweigend und mit benebelter Seele zugebracht hatte, musste ich nach Wörtern suchen, und meine Stimme gehorchte mir nicht mehr. »Was machst du hier? Was mache ich hier?«
»Glaubst du vielleicht, ich lasse dich da verrotten?«
»Woher wusstest du, wo ich bin? Wie hast du mich gefunden?«
»Dein Freund Khaderbhai hat dich gefunden. Er hat mich gebeten, dich hierherzubringen.«
»Er hat dich gebeten?«
»Ja«, sagte sie und sah mich mit einem Blick an, der die Watteschicht durchdrang wie die aufgehende Sonne den Morgennebel.
»Wo ist er?«
Sie lächelte, und das Lächeln war traurig, denn ich hatte die falsche Frage gestellt. Das weiß ich heute. Heute bin ich nicht mehr zugedröhnt.
Wenn ich ihr die richtige Frage gestellt hätte, dann hätte sie mir die Wahrheit gesagt. Das war die durchdringende Kraft in ihrem Blick. Sie war damals bereit, mir alles zu offenbaren. Sie hätte mich vielleicht sogar geliebt oder jedenfalls begonnen, mich zu lieben. Aber ich hatte die falsche Frage gestellt. Ich hatte nicht nach ihr gefragt. Ich hatte nach ihm gefragt.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie und stützte sich mit den Händen ab, um aufzustehen. »Er sollte eigentlich hier sein. Er kommt bestimmt bald. Aber ich kann nicht warten. Ich muss los.«
»Was?« Ich setzte mich auf und versuchte die Wattevorhänge beiseitezuschieben, um Karla zu sehen, mit ihr zu sprechen, sie bei mir zu behalten.
»Ich muss los«, wiederholte sie und ging mit raschen Schritten zur Tür. Nasir wartete auf sie, die massigen Arme in die Hüften gestützt. »Ich kann es nicht ändern. Ich muss noch viel erledigen vor der Abreise.«
»Abreise? Was meinst du mit Abreise?«
»Ich fahre wieder für eine Weile weg. Beruflich. Eine wichtige Sache und … ich muss es einfach machen. In sechs bis acht Wochen bin ich wieder da. Dann sehen wir uns vielleicht.«
»Aber das ist doch verrückt. Ich versteh das nicht. Du hättest mich dort lassen sollen, wenn du mich als Erstes wieder verlässt.«
»Schau«, sagte sie, geduldig lächelnd, »ich bin gestern erst zurückgekommen und versuche, nicht hierzubleiben. Ich gehe nicht mal ins Leopold’s. Heute Morgen habe ich Didier getroffen – von dem ich dich grüßen soll –, aber dabei bleibt es auch. Ich will mich hier nicht aufhalten. Ich habe eingewilligt, dich aus diesem kleinen Selbstmordpakt herauszuholen, den du mit dir selbst
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