Shantaram
in sein Gelächter ein, aber ich war erschöpft und wollte eigentlich aufhören zu lachen. Deshalb schaute ich in die andere Richtung. Unsere Verwundeten waren in einem Zelttuch-Shamiana in Tarnfarben untergebracht worden. Daneben entluden Männer die Pferde und trugen die Lasten in die Höhle. Dann sah ich Habib, der etwas Langes, Schweres in die Dunkelheit neben dem offenen Zelt schleifte.
»Was …«, sagte ich, noch halb glucksend, »was macht Habib denn da?«
Khaled, sofort alarmiert, sprang auf, und ich erfasste den Ernst der Situation und tat es ihm gleich. Wir rannten zu den Felsen am Rande des Plateaus, und dahinter fanden wir Habib. Er kniete über dem Körper eines Mannes. Es war Siddiqi. Während wir alle mit unserer Fracht beschäftigt gewesen waren, hatte Habib den halb bewusstlosen Mann unter der Zeltplane hervorgezerrt. In dem Moment, in dem wir Habib sahen, rammte er dem Verletzten sein langes Messer in den Hals, mit derselben leichten Drehung, wie ich es bei meinem Pferd gesehen hatte. Siddiqis Beine zuckten und zitterten, dann erschlafften sie. Habib zog das Messer heraus, wandte sich um und sah uns. Das fassungslose Entsetzen auf unseren Gesichtern schien seinen Wahnsinn nur weiter zu entfesseln. Er grinste uns an.
»Khader!«, brüllte Khaled, dessen Gesicht so fahl geworden war wie die Felsen im Mondlicht. »Khaderbhai! Iddar ao!« Komm her!
Irgendwo hinter uns vernahm ich einen Ruf als Antwort, doch ich wandte den Blick nicht von Habib und rührte mich nicht von der Stelle. Er wandte sich um, indem er das Bein über den Ermordeten schwang, und ging dann neben ihm in die Hocke, als wolle er mich anspringen. Das irre Grinsen schien auf seinem Gesicht erstarrt zu sein, doch seine Augen wurden dunkler – vor Angst vielleicht oder weil er neue Taten ersann. Mit einer tierartigen raschen Bewegung legte er den Kopf schief und lauschte, als horche er auf einen weit entfernten Laut in der Nacht. Ich hörte nichts außer den Geräuschen aus dem Lager und dem leisen Heulen des Windes, der durch die Schluchten und Felsspalten fegte. In diesem Augenblick erschienen mir die Ebenen, die Berge, das ganze Land Afghanistan so trostlos, so bar jeder Lieblichkeit und Zärtlichkeit, dass es mir wie die Landschaft von Habibs Irrsinn vorkam. Ich fühlte mich, als sei auch ich gefangen im steinernen Labyrinth seines Wahns.
Während er, am Boden kauernd wie ein Tier, mit abgewandtem Kopf horchte, löste ich die Sicherheitslasche an meinem Holster und zog langsam die Pistole heraus. Schwer atmend befolgte ich automatisch die Anweisungen, die Khader mir gegeben hatte. Ich entsicherte die Waffe, zog den Schlitten zurück, lud durch und spannte den Hahn, ohne überhaupt richtig zu merken, was ich tat. Die Geräusche veranlassten Habib, zu mir zu schauen. Er sah die Waffe in meiner Hand, die auf seine Brust gerichtet war. Dann schaute er langsam, beinahe träge, nach oben und begegnete meinem Blick. Das lange Messer hielt er noch in der Hand. Ich weiß nicht, wie mein Gesicht, vom Mondlicht beschienen, auf ihn wirkte. Erfreulich kann es nicht gewesen sein. Ich hatte mich entschieden: Sollte Habib sich auch nur einen Millimeter in meine Richtung bewegen, würde ich so oft abdrücken, bis er erledigt war.
Sein Grinsen wurde breiter, und es sah aus, als ob er lachte, doch es war kein Lachen zu hören. Sein Kopf wackelte, und sein Mund bewegte sich, ohne dass er einen Laut von sich gab. Und die Augen waren starr auf mich gerichtet und vermittelten eine Botschaft. Ich hörte sie plötzlich, hörte Habibs Stimme in meinem Kopf. Siehst du?, sagten die Augen. Ich tue gut daran, keinem von euch zu trauen … Du willst mich umbringen … Ihr alle … Ihr wollt mich alle tot sehen … Aber das ist in Ordnung … Es macht mir nichts aus … Ich gebe dir die Erlaubnis … Ich will, dass du es tust …
Wir hörten ein Geräusch hinter uns, Schritte. Khaled und ich fuhren panisch herum und erblickten Khader, Nasir und Ahmed Zadeh, die auf uns zugerannt kamen. Als wir uns wieder umdrehten, war Habib verschwunden.
»Was ist passiert?«, fragte Khader.
»Habib«, antwortete Khaled und spähte in die Dunkelheit. »Er ist verrückt geworden … er ist verrückt … er hat Siddiqi getötet … hat ihn hierhergezerrt und ihm das Messer in den Hals gebohrt.«
»Wo er ist?«, fragte Nasir aufgebracht.
»Ich weiß nicht«, antwortete Khaled kopfschüttelnd. »Hast du gesehen, wohin er verschwunden ist, Lin?«
»Nein. Ich habe mich auch
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