Shantaram
war die bevorzugte Waffe von Revolutionären, Soldaten, Söldnern und Gangstern in aller Welt.
Das AK-47 bestand aus Schmiede- oder Walzstahl. Das AK-74, das in den Siebzigerjahren hergestellt wurde, wurde aus gestanzten Metallteilen angefertigt. Einige der älteren afghanischen Kämpfer bevorzugten das solide, wenn auch schwerere AK-47 und lehnten die neuere Ausführung mit der kleineren 5,45-mm-Munition und dem orangen Plastikmagazin ab. Die jüngeren Kämpfer entschieden sich häufiger für das AK-74 und betrachteten das Original verächtlich als Antiquität. Die neueren Waffen wurden in Ägypten, Syrien, Russland und China hergestellt. Obwohl die Gewehre sich nicht grundsätzlich unterschieden, hatten die Kämpfer ihre eindeutigen Vorlieben, und der Handel mit den Waffen wurde selbst innerhalb einer Einheit mit Leidenschaft betrieben.
In den Werkstätten wurden die AKs aus jeder Serie repariert, überholt und modifiziert, und dort herrschte immer reger Betrieb, denn die Afghaner waren unersättlich, wenn es darum ging, Neues über Waffen zu erfahren. Ihre Neugierde gründete nicht auf Brutalität oder Freude an Gewalt, sondern war eine schlichte Notwendigkeit in einem Land, das unter anderem von Alexander dem Großen, den Hunnen, den Sakas, den Skythen, den Mongolen, den Moguln, den Safawiden, den Briten und den Russen überfallen worden war. Und auch wenn die Männer gerade nicht in der Werkstatt arbeiteten oder ihre Waffenkenntnisse erweiterten, trafen sie sich dort, um Tee zu trinken, den sie auf Gaskochern zubereiteten, zu rauchen und über ihre Lieben zu reden.
Und ich arbeitete zwei Monate lang Seite an Seite mit ihnen. In dem kleinen Glühofen schmolz ich Blei und andere Metalle. Ich sammelte Feuerholz und holte Wasser von einer Quelle in einer nahe gelegenen Schlucht. Im Schnee hob ich neue Latrinen aus und bedeckte sie sorgfältig, wenn sie voll waren. Ich drehte neue Teile an der Revolverdrehbank und schmolz die Metallspäne ein, um daraus wiederum neue Teile anzufertigen. Morgens kümmerte ich mich um die Pferde, die in einer anderen Höhle weiter unten am Berg untergebracht waren. Wenn ich mit Ziegenmelken an der Reihe war, stampfte ich danach die Milch zu Butter und half bei der Zubereitung des Naan, des Brotes. Und wenn einer der Männer sich einen Schnitt, eine Schürfwunde oder eine Verstauchung zugezogen hatte, holte ich den Verbandskasten und bemühte mich nach Kräften, zur Heilung beizutragen.
Ich lernte den Refrain einiger Lieder, und abends, wenn die Feuer gelöscht waren und wir dicht zusammenlagen, um uns zu wärmen, stimmte ich in den leisen Gesang der Männer ein. Ich lauschte ihren Geschichten, die sie in die Dunkelheit raunten und die mir von Khaled, Mahmud und Nasir übersetzt wurden. Wenn sie am Tage ihre Gebete verrichteten, kniete ich still an ihrer Seite. Und nachts, umgeben von ihren Atemzügen, ihrem Schnarchen und den Gerüchen des Soldatenlebens – Holzfeuer, Waffenöl, billige Sandelholzseife, Pisse, Scheiße, in feuchten Drillich gesickertem Schweiß, Pferdesalbe und Sattelfett, ungewaschenem Menschen- und Pferdehaar, Kumin und Koriander, Pfefferminzzahnpulver, Chai, Tabak und hundert anderen –, träumte ich mit ihnen von jenen Orten und jenen Herzen, nach denen wir Sehnsucht hatten.
Und dann, als der zweite Monat zu Ende ging, als die letzten Waffen repariert und modifiziert waren und unsere Vorräte zur Neige gingen, wies Khaderbhai uns an, den Rückmarsch vorzubereiten. Er plante einen Umweg Richtung Kandahar, um seiner Familie die Pferde zu übergeben. Danach würden wir mit Marschgepäck und leichten Waffen nachts zur Grenze nach Pakistan zurückkehren.
»Die Pferde sind beinahe fertig beladen«, erstattete ich Khader Bericht, als ich meine Sachen gepackt hatte. »Ich soll von Khaled und Nasir ausrichten, dass sie nochmal hochkommen, wenn alles bereit ist.«
Wir saßen auf der abgeflachten Spitze einer Felsnase, von der aus man eine eindrucksvolle Aussicht über die Täler und die Wüste hatte, die sich vom Fuße der Berge bis zum Horizont und nach Kandahar erstreckte. An diesem Tag hatte sich der Nebel verzogen, sodass sich uns der Anblick des gesamten atemberaubenden Panoramas bot. Weiter im Osten ballten sich dicke dunkle Wolken, und die kalte Luft war feucht und roch nach Schnee, doch in diesem Moment konnten wir bis ans Ende der Welt blicken, und unsere Augen, nur mehr an die Kargheit des Winters gewöhnt, tranken die Schönheit der Landschaft in vollen
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