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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Zügen.
    »Im November 1878, im selben Monat, in dem wir uns auf unsere Mission begaben, überquerten die Briten den Khyber-Pass, und der zweite afghanische Krieg mit ihnen begann«, sagte Khader, als habe er meine Bemerkung nicht gehört oder wolle sie auf ganz besondere Art kommentieren. Er starrte auf die Dunstschwaden am Horizont. Ich wusste, dass der rötliche Schimmer und der Dunst über Kandahar vermutlich durch explodierende Raketen entstanden, abgefeuert von Männern, die einst selbst dort gelebt hatten, als Lehrer oder Kaufleute. Doch im Krieg gegen die russischen Angreifer waren sie zu Teufeln im Exil geworden, die Feuer auf ihre eigenen Häuser, Läden und Schulen regnen ließen.
    »Über den Khyber-Pass kam auch einer der meistgefürchteten, mutigsten und grausamsten Soldaten des ganzen britischen Kolonialreichs, Lord Frederick Roberts. Er eroberte Kabul und verhängte ein gnadenloses Kriegsrecht. An einem Tag wurden auf dem Marktplatz siebenundachtzig afghanische Soldaten gehängt. Gebäude und Märkte wurden zerstört, Dörfer niedergebrannt und Hunderte von Afghanen getötet. Im Juni rief ein afghanischer Prinz namens Ayub Khan einen Jihad aus, um die Briten aus dem Land zu treiben. Mit zehntausend Männern zog er von Herat los. Er war einer meiner Vorfahren, gehörte meiner Familie an, und in seinem Heer kämpften viele meiner Verwandten.«
    Khader hielt inne und sah mich an. Seine goldenen Augen leuchteten unter den silbrigen Brauen, und ein Lächeln lag darin, doch er presste so fest die Lippen zusammen, dass sie am Rand weiß wurden. Als habe er sich versichern wollen, dass ich ihm zuhörte, blickte er wieder zum Horizont und sprach weiter.
    »Der damalige britische Befehlshaber von Kandahar, ein Mann namens Burrows, war dreiundsechzig Jahre alt, so alt wie ich jetzt. Er brach mit eintausendfünfhundert Mann – britischen und indischen Soldaten – von Kandahar auf und traf bei einem Ort namens Maiwand auf Prinz Ayub und sein Heer. An klaren Tagen kann man den Ort von hier aus sehen. In dieser Schlacht feuerten beide Heere Kanonen ab und töteten viele hundert Männer auf die schrecklichste nur erdenkliche Weise. Wenn die Soldaten sich von Mann zu Mann gegenüberstanden, feuerten sie ihre Gewehre aus so kurzer Distanz ab, dass die Kugel den Körper des einen durchschlug und den nächsten traf. Die Briten verloren die Hälfte ihres Heeres, die Afghanen zweitausendfünfhundert Mann. Aber sie gewannen die Schlacht, und die Briten mussten den Rückzug nach Kandahar antreten. Prinz Ayub umzingelte die Stadt sofort, und dann begann die Belagerung von Kandahar.«
    Trotz des außergewöhnlich hellen klaren Sonnenlichts war es bitterkalt auf dem zugigen Felsen. Ich spürte, wie meine Hände und Füße taub wurden und wäre gerne aufgestanden, um mich zu bewegen, aber ich wollte Khader nicht unterbrechen. Stattdessen zündete ich zwei Beedies an und reichte ihm eines. Er nahm es entgegen, zog dankend eine Augenbraue hoch und nahm genüsslich zwei Züge, bevor er weitersprach.
    »Lord Roberts – weißt du, Lin, mein erster Lehrer, mein verehrter Mackenzie Esquire pflegte immer zu sagen, Bobs your uncle, und ich sagte das auch, weil ich ihm ähnlich sein wollte. Dann erzählte er mir eines Tages, dass dieser Ausdruck von Lord Frederick Roberts herrührte, weil dieser Mann, der meine Verwandten zu Hunderten gemetzelt hatte, so gütig zu seinen Soldaten war, dass sie ihn Uncle Bobs nannten. Und sie behaupteten, wenn er an der Macht wäre, dann wäre alles in Ordnung – Bobs your uncle. Als ich die Bedeutung kannte, sagte ich das nie wieder. Und etwas finde ich sehr sonderbar – mein lieber Mackenzie Esquire war der Enkel eines Mannes, der im Heer von Lord Roberts gekämpft hatte. Sein Großvater und meine Verwandten haben im zweiten Krieg der Briten gegen Afghanistan gegeneinander gekämpft. Deshalb war Mackenzie Esquire so fasziniert von der Geschichte meines Landes und besaß großes Wissen über Kriege. Und, Allah sei Dank, hatte ich ihn zum Freund und Lehrer, wohingegen andere Männer, die damals noch lebten, die Narben des Krieges trugen, in dem Mackenzie Esquires Großvater und auch der meine getötet wurden.«
    Er verstummte wieder, und wir lauschten dem Pfeifen des Windes, spürten die bissige Kälte, die den neuen Schnee in sich trug, in diesem Wind, der aus dem fernen Bamiyan kam und Eis und Schnee und bitterkalte Luft von jedem Berg bis nach Kandahar bringen würde.
    »Und so zog Lord Roberts mit

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