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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Thema, aber könntest du mir bitte eine Frage beantworten? Ich habe über etwas nachgedacht, das du vor einiger Zeit gesagt hast. Du sagtest, das Leben und das Bewusstsein und alles andere seien beim Urknall aus dem Licht entstanden. Meinst du damit, dass Licht Gott ist?«
    »Nein«, antwortete er, und der niedergeschlagene Gesichtsausdruck machte einem, wie mir schien, liebevollen Lächeln Platz. »Ich glaube nicht, dass Licht Gott ist. Ich halte es für möglich und auch für vernünftig zu behaupten, dass Licht die Sprache Gottes ist. Licht ist vielleicht die Art, wie Gott zu uns und zum Universum spricht.«
    Ich beglückwünschte mich selbst zu dem erfolgreichen Themenwechsel, indem ich aufstand, mit den Füßen stampfte und mit den Armen schlug, um mein Blut in Bewegung zu bringen. Auch Khader erhob sich. Wir machten uns auf den Rückweg zum Lager und bliesen auf unsere Hände, um sie zu wärmen.
    »Wo wir gerade über Licht sprechen – das hier ist ein merkwürdiges Licht!«, schnaufte ich. »Die Sonne scheint, aber sie wärmt nicht. Man kommt sich vor, als sei man zwischen der kalten Sonne und dem noch kälteren Schatten gestrandet.«
    »Gestrandet in flackerndem Lichtgespinst«, zitierte Khader, und ich drehte so abrupt den Kopf, dass mein Nacken wehtat.
    »Was hast du gesagt?«
    »Das war ein Zitat«, antwortete Khader langsam, »aus einem Gedicht.«
    Ich zog meine Brieftasche hervor und nahm ein zusammengefaltetes Papier heraus. Es war vom langen Herumtragen so abgenutzt, dass es Risse aufwies, als ich es entfaltete: Karlas Gedicht, das ich vor zwei Jahren aus ihrem Tagebuch abgeschrieben hatte, damals, als ich mit Tariq in ihrer Wohnung war, am Abend der wilden Hunde. Im Gefängnis in der Arthur Road hatten die Wärter es mir weggenommen und zerrissen. Als Vikram mich aus dem Gefängnis freikaufte, schrieb ich es aus der Erinnerung auf und trug es seither immer bei mir.
    »Dieses Gedicht«, sagte ich aufgeregt und hielt das brüchige Papier hoch. »Es wurde von einer Frau geschrieben. Sie heißt Karla Saaranen. Die Frau, die du mit Nasir zu Gupta-ji geschickt hast, um … mich da rauszuholen. Es wundert mich, dass du es kennst. Es ist großartig.«
    »Nein, Lin«, antwortete Khader gelassen. »Dieses Gedicht wurde von einem Sufi-Dichter namens Sadik Khan geschrieben. Ich kenne viele seiner Gedichte auswendig. Er ist mein Lieblingsdichter. Und er ist auch Karlas Lieblingsdichter.«
    Die Worte schlossen sich eiskalt um mein Herz.
    »Karlas Lieblingsdichter?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Wie gut … wie gut kennst du Karla?«
    »Ich kenne sie sehr gut.«
    »Ich dachte … ich dachte, du hättest sie erst kennen gelernt, als ihr mich bei Gupta-ji rausgeholt habt. Sie sagte … ich dachte, sie hätte gesagt, dass sie dich damals erst kennen gelernt hat.«
    »Nein, Lin, das stimmt nicht. Ich kenne Karla seit vielen Jahren. Sie arbeitet für mich. Oder vielmehr für Abdul Ghani, der wiederum für mich arbeitet. Aber das muss sie dir doch erzählt haben? Wusstest du das nicht? Das wundert mich aber. Ich war mir sicher, dass Karla mit dir über mich gesprochen hat. Ich habe jedenfalls mit ihr oft über dich gesprochen.«
    Mir war zumute wie in der nachtschwarzen Schlucht, als die schrill kreischenden Düsenjets über uns hinweg schossen: grausamer Lärm und dunkle Angst. Was hatte Karla gesagt, als wir uns aneinanderschmiegten, uns gegen den Schlaf wehrten, nachdem wir im Slum gegen die Cholera gekämpft hatten? Eines Tages habe ich im Flugzeug einen Geschäftsmann kennen gelernt, aus Indien, und mein Leben hat sich für immer verändert … War das Abdul Ghani gewesen? Hatte sie ihn gemeint? Warum hatte ich sie nicht eingehender nach ihrer Arbeit gefragt? Warum hatte sie mir nichts davon erzählt? Und was genau arbeitete sie für Abdul Ghani?
    »Was macht sie für dich – für Abdul?«
    »Alles Mögliche. Sie ist vielseitig begabt.«
    »Ich weiß, dass sie das ist«, fauchte ich aufgebracht. »Was macht sie für dich?«
    »Unter anderem«, antwortete Khader betont langsam und präzise, »sucht sie Ausländer, die für unsere Arbeit geeignet sind. Leute wie dich.«
    »Was?«, brachte ich hervor, ein Wort, das nicht als Frage gemeint war. Ich fühlte mich, als fielen Splitter von mir – Splitter von meinem zu Eis erstarrten Gesicht, meinem vereisten Herzen – klirrend zu Boden.
    Er wollte weitersprechen, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
    »Willst du damit sagen, dass Karla mich rekrutiert hat – für dich

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