Shantaram
dieser Gegend herumgelungert und mich nach Ausländern umgeschaut, die frisch vom Flugzeug kamen und Geld wechseln oder Charras kaufen wollten.
Nasir näherte sich, Ahmed Zadeh im Gefolge. Die beiden traten zu Khaderbhai und Khaled. Nasir betrachtete mit finsterer Miene den Himmel, um einzuschätzen, wann der Schneesturm einsetzen würde. Die Pferde waren gepackt und zum Abmarsch bereit, und er wollte nicht länger warten.
»Und als du mir mit der Klinik geholfen hast?«, fragte ich. Mir war übel, und ich wusste, dass meine Beine unter mir nachgeben würden, wenn ich sie auch nur ein bisschen entspannte. Als Khader nicht antwortete, wiederholte ich meine Frage. »Was war mit der Klinik? Warum hast du mir mit der Klinik geholfen? Gehörte das auch zu deinem Plan? Diesem Plan?«
Ein eisiger Wind fegte über das Plateau, und wir schauderten alle, als er uns ins Gesicht blies und durch unsere Kleider drang. Der Himmel verdunkelte sich rasch, und eine schmutziggraue Wolkenfront zog über die Berge auf die entfernte Ebene und die rötlich schimmernde sterbende Stadt zu.
»Du hast dort gute Arbeit geleistet«, antwortete Khader schließlich.
»Danach habe ich nicht gefragt.«
»Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über solche Dinge zu sprechen, Lin.«
»Oh doch«, erwiderte ich.
»Es gibt viele Dinge, die du nicht verstehen wirst«, sagte er, als habe er über diese Fragen schon lange nachgedacht.
»Erklär sie mir.«
»Nun gut. Alle Medikamente, die wir in das Lager hier gebracht haben, die Antibiotika und das Penicillin, wurden von Ranjits Leprakranken organisiert. Ich musste wissen, ob man sie hier bedenkenlos einsetzen konnte.«
»Oh Gott …«, stöhnte ich.
»Deshalb nutzte ich die Gelegenheit, die eigenartige Situation, dass du, ein Ausländer ohne Verbindung zu einer Familie oder einer Botschaft, in meinem eigenen Slum eine Klinik eröffnet hast – ich habe diese Chance genutzt, die Medikamente an den Leuten im Zhopadpatti zu testen. Ich musste Gewissheit haben, verstehst du, bevor ich diese Mittel in den Krieg mitnahm.«
»Großer Gott, Khader!«, knurrte ich.
»Ich musste –«
»Nur ein verfluchter Irrer macht so etwas!«
»Jetzt ist Schluss, Lin!«, fuhr Khader mich an. Die anderen Männer erstarrten, als fürchteten sie, ich wolle Khader körperlich attackieren. »Du gehst zu weit!«
»Ich gehe zu weit!«, höhnte ich. Mir klapperten die Zähne, und ich musste mich zusammenreißen, damit meine Knie nicht nachgaben. »Ich gehe zu weit! Er benutzt die Menschen im Slum als Meerschweinchen oder Laborratten oder weiß der Henker was, um seine Antibiotika zu testen, und benutzt mich dazu, weil sie mir vertrauen – und nun bin ich derjenige, der zu weit geht!«
»Niemand ist dabei zu Schaden gekommen«, versetzte Khader mit erhobener Stimme. »Die Medikamente waren alle gut, und deine Arbeit dort war gut. Die Menschen sind gesund geworden.«
»Wir sollten aus der Kälte gehen und in Ruhe darüber reden«, versuchte Ahmed Zadeh zu vermitteln. »Khader, wir müssen diese Schneefälle abwarten, bevor wir aufbrechen können. Lasst uns nach drinnen gehen.«
»Du musst verstehen«, sagte Khader fest, ohne Ahmed zu beachten. »Es war eine Kriegsentscheidung. Zwanzig Leben wurden aufs Spiel gesetzt, um tausend zu retten, und tausend wurden aufs Spiel gesetzt, um eine Million zu retten. Und glaub mir, wir wussten, dass die Medikamente gut waren. Das Risiko, von Ranjits Leprakranken unreine Medikamente zu bekommen, war ausgesprochen gering. Wir waren uns ziemlich sicher, dass sie gut waren, als wir sie dir gaben.«
»Und was war mit Sapna?« Nun hatte ich es ausgesprochen, meine schlimmste heimliche Angst, was Khader und meine Nähe zu ihm betraf. »War Sapna auch dein Werk?«
»Ich war nicht Sapna. Aber ich bin in der Tat verantwortlich für diese Morde. Sapna tötete für mich – für meine Mission. Und wenn ich aufrichtig sein soll: Sapnas blutige Arbeit hat mir viele Vorteile verschafft. Weil es Sapna gab und jeder ihn fürchtete, und weil ich gelobte, ihn zu finden und seinem Treiben ein Ende zu setzen, ermöglichten es mir die Politiker und die Polizei, Gewehre und andere Waffen über Bombay nach Karachi und Quetta zu bringen und mich in diesen Krieg einzumischen. Das Blut, das Sapna vergossen hat – es hat für uns die Räder geölt. Und ich würde es wieder so machen. Ich würde Sapnas Morde nutzen, und ich würde mit meinen eigenen Händen morden, wenn es unserer Sache helfen könnte.
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