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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Brust zu drehen, und mein Atem kam in ächzenden grunzenden Stößen. Ich konnte die Positionen des Feindes nicht sehen. Die Granaten hatten eine Reichweite von weit über einem Kilometer, doch ich wusste, dass der Feind nicht so weit entfernt sein konnte. Und dann hörten wir die ersten Schüsse, das tantantantantan der AK-74 – ihrer und unserer Gewehre. Nun wusste ich, dass sie nahe genug waren, um uns zu töten. Und wir waren nahe genug, um sie zu töten.
    Meine Augen tasteten im Lauf den Boden ab, hielten Ausschau nach Steinen und Löchern. Ein Mann ging zu Boden, links von mir. Jalalaad. Er lief neben Nasir, keine hundert Meter von mir entfernt. Eine Granate explodierte direkt vor ihm und zerriss seinen jungen Körper in Stücke. Ich blickte wieder auf den Boden, sprang über Felsbrocken und Steine, stolperte, blieb jedoch auf den Beinen. Ich sah, wie Suleiman, fünfzig Meter vor mir, sich an den Hals griff und dann nach vorne kippte, gebückt ein paar Schritte weiterlief, als suche er etwas vor sich auf dem Boden. Dann brach er in sich zusammen und rollte auf die Seite. Sein Gesicht und sein Hals waren blutig und aufgerissen. Ich wollte um ihn herumrennen, aber überall lagen Felsbrocken, sodass ich über seine Leiche springen musste.
    Ich sah das Mündungsfeuer der feindlichen Kalaschnikows, etwa zweihundert Meter vor mir, weiter entfernt, als ich vermutet hatte. Ein Leuchtspurgeschoss sauste vorbei, nur einen Meter neben mir. Wir würden es nicht schaffen. Wir konnten es nicht schaffen. Sie waren nur wenige – wenige Gewehre, die sie abfeuerten –, aber sie hatten so viel Zeit, uns zu sichten und abzuschießen. Sie würden uns alle töten. Dann ertönte der Donner mehrerer Explosionen in den feindlichen Linien. Diese Idioten! Die jagen ihre eigenen Granatwerfer in die Luft!, dachte ich, und plötzlich knallten überall Schüsse wie Feuerwerkskörper. Nasir hob sein Gewehr und schoss, während er rannte, und Mahmud Melbaaf feuerte rechts vor mir, auf Suleimans ehemaliger Position, und ich riss mein Gewehr hoch und drückte den Abzug.
    Irgendwo in der Nähe war ein grauenhafter markerschütternder Schrei zu hören. Ich merkte plötzlich, dass es mein eigener war, doch ich konnte ihn nicht unterdrücken. Und ich schaute auf die Männer, die mutigen, stolzen und schönen Männer neben mir, die ins Gewehrfeuer rannten, und Gott helfe mir, und Gott vergebe mir diesen Gedanken, aber es war glorreich, es war glorreich, wenn Glorie eine großartige und verzückte Ekstase ist. Es war so, wie Liebe wäre, wenn Liebe eine Sünde wäre. Es war so, wie Musik wäre, wenn Musik töten könnte. Und mit jedem Schritt erklomm ich eine Gefängnismauer.
    Und dann, in einer Welt, die plötzlich so still war wie die Tiefe des Meeres, regten sich meine Beine nicht mehr, und heiße, körnige, schmutzige, explodierende Erde verstopfte mir Augen und Mund. Etwas hatte meine Beine getroffen. Etwas Hartes, Heißes und entsetzlich Scharfes war in meine Beine eingedrungen. Ich fiel nach vorne, als sei ich im dunklen Wald über einen umgestürzten Baum gestolpert. Eine Granate. Metallsplitter. Die Taubheit des Schocks. Die brennende Haut. Die Erde in den Augen. Das Ringen um Luft. Ein Geruch, der meinen Kopf erfüllte. Der Geruch meines eigenen Todes – es riecht nach Blut, Meerwasser, feuchter Erde und der Asche von verbranntem Holz, wenn man seinen eigenen Tod riecht, bevor man stirbt –, und dann traf ich so hart auf dem Boden auf, dass ich in eine tiefe traumlose Dunkelheit tauchte. Und der Sturz dauerte eine Ewigkeit. Und nirgendwo war Licht.

F ÜNFTER T EIL
     

S IEBENUNDDREISSIGSTES K APITEL
     

    W enn man in das kalte tote Auge der Kamera starrt, bekommt man gnadenlos die Wahrheit gezeigt. Auf dem Schwarz-weiß-Foto waren alle Männer von Khaders Mudjahedin-Einheit zu jener Art von förmlichem Porträt versammelt, das die Menschen aus Afghanistan, Pakistan und Indien nicht selten steifer, finsterer und linkischer wirken lässt als sie tatsächlich sind. Aus dieser Aufnahme konnte man nicht schließen, wie gerne diese Männer aus vollem Halse gelacht und wie häufig sie gelächelt hatten. Keiner von ihnen schaute direkt in die Kamera. Alle außer mir blickten ein wenig nach oben oder unten, nach links oder rechts. Nur meine eigenen Augen starrten mir entgegen, als ich das Bild in den bandagierten Händen hielt und mich an die Namen der Männer erinnerte, die sich für diese Aufnahme dicht zusammengedrängt hatten.
    Mazdur

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