Shantaram
mich. Diesmal trat ich rechtzeitig beiseite und drosch ihm die Faust an die rechte Schläfe, doch als er zu Boden ging, verkrallte er sich in meinem Hosenbein. Der Ruck brachte uns beide zu Fall, und Rajan kroch pfeilschnell wie eine Krabbe auf mich zu und schlug seine Nägel in meinen Hals.
Er war schmal gebaut, aber kräftig und groß. Ich dagegen hatte in Khaders Krieg so viel Gewicht eingebüßt, dass wir etwa gleich stark waren. Ich rollte mich zweimal beiseite, konnte Rajan jedoch nicht abschütteln. Er presste den Kopf so dicht an mich, dass ich ihn mit der Faust nicht erreichen konnte, und nun spürte ich, wie er mich in den Hals zu beißen versuchte und wie seine Nägel sich immer tiefer in meine Haut bohrten.
Es gelang mir, an mein Messer zu kommen. Ich riss es aus der Scheide und rammte es mit voller Kraft in Rajans Oberschenkel. Als er einen Schmerzensschrei ausstieß, fuhr sein Kopf hoch, und ich stieß ihm das Messer nahe der Schulter von vorne in den Hals. Es bohrte sich tief in die Schulter und traf den Knochen. Rajan griff sich mit beiden Händen an den Hals und rollte beiseite, bis er an der Wand liegen blieb. Er war erledigt. Rajan würde sich nicht mehr wehren. Und dann hörte ich den Schrei.
Ich fuhr herum und sah, wie Rajan aus der Lücke zwischen dem eingebrochenen Boden und der Zwischendecke gekrochen kam. Derselbe Mann, so schien es, aber völlig unversehrt: kahler Schädel, abrasierte tätowierte Augenbrauen und spitzgefeilte lange Nägel, so grün wie eine Grasnatter. Ich schaute in die andere Richtung und sah, dass Rajan eingerollt und stöhnend an der Wand lag. Ein Zwilling, dachte ich benommen. Es gibt zwei von denen. Wieso hat mir das keiner gesagt? Und ich wandte mich rasch um, just in dem Moment, in dem der zweite Rajan mit demselben schrillen Schrei auf mich zugeschossen kam. Doch dieser hier hielt ein Messer in der Hand.
Es hatte eine schmale gebogene Klinge wie ein Schwert, und er fuchtelte wild damit herum, während er auf mich zuraste. Ich trat im letzten Moment beiseite, holte aus und traf ihn mit meinem Messer an Arm und Schulter. Er konnte sich aber noch frei bewegen und fügte mir mit seinem Messer einen tiefen Schnitt am Unterarm zu. Sofort spritzte Blut aus der Wunde, und ich stach wutentbrannt mit meinem Messer auf den zweiten Rajan ein. Dann spürte ich plötzlich einen heftigen Schmerz am Hinterkopf, der nach Blut schmeckte, und wusste, dass mich jemand von hinten attackierte. Ich stolperte an dem Zwillingsbruder vorbei, und als ich mich umdrehte, erblickte ich den verwundeten ersten Rajan. Sein blutiges Hemd klebte ihm am Körper, und er hielt einen Holzbalken in der Hand. Mir war schwindlig von dem Schlag auf den Kopf, und ich blutete aus etlichen Wunden an Kopf, Hals, Schultern und am Unterarm. Nun stießen beide Zwillinge zugleich ihren schrillen langgezogenen Schrei aus, und ich spürte zum ersten Mal in diesem bizarren Kampf den Keim eines Zweifels in mir: Ob ich hieraus als Sieger hervorgehen werde?
Ich grinste die beiden an, hob die Fäuste, trat mit dem linken Fuß vor und dachte: Okay. Bringen wir’s zu Ende. Ihr Geheul schrillte in meinen Ohren, als sie auf mich zustürzten. Rajan holte mit dem Balken aus, ich hob den linken Arm, um den Schlag abzufangen. Er traf mich an der Schulter, aber indessen hieb ich ihm die rechte Faust ins Gesicht, und er ging zu Boden. Sein Bruder zückte sein Messer und zielte auf mein Gesicht. Ich duckte mich weg, aber die Klinge erwischte mich im Nacken. Als ich hochkam, rammte ich mein Messer bis zum Heft in seine Schulter. Ich hatte eigentlich die Brust treffen wollen, aber die Verletzung war dennoch wirkungsvoll, weil sein Arm nun so schlaff herunterhing wie Seegras und er schreiend zurückwich.
Der Zorn von Jahren brach sich in mir Bahn: all die Wut, die ich im Gefängnis im flachen Grab meiner Selbstbeherrschung beerdigt hatte. Das Blut, das mir übers Gesicht rann, war flüssige Wut, die rot und heiß und zähflüssig aus meinem Geist tropfte. Ohnmächtige Wut straffte meine Muskeln, an meinen Armen, an den Schultern, am Rücken. Ich blickte von Rajan und seinem Zwillingsbruder zu der reglosen Gestalt auf dem Stuhl. Alle umbringen, dachte ich. Ein Grollen entstieg meiner Kehle, als ich zwischen zusammengebissenen Zähnen die Luft einsog und wieder ausstieß. Ich werde sie alle umbringen.
Ich hörte jemanden nach mir rufen, rufen, rufen, vom Rande jenes Abgrunds, in den Habib und alle anderen gestürzt waren, deren
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