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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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groß wie ich, und hatte ein klassisches, gut geschnittenes, offenes Gesicht, dessen Attraktivität sich nicht nur aus der Summe einzelner Züge ergab – markante Wangenknochen, hohe breite Stirn, ausdrucksstarke topasfarbene Augen, elegante Nase, voller Mund und festes Kinn. Früher hätte man einen solchen Mann als schneidig bezeichnet – der einsame Segler, Bergsteiger oder Dschungelabenteurer. Sein Haar war kurz geschnitten, und die Geheimratsecken waren nicht zu übersehen, doch selbst das stand ihm so gut, als sei es die bevorzugte Haartracht gesunder sportlicher Männer. Und seine Kleider – dieser Stil war mir wohl vertraut von den Einkäufen, die Sanjay, Andrew, Faisal und die anderen Goondas in den teuersten Geschäften der Stadt tätigten. Jeder Bombayer Gangster, der auf sich hielt, hätte beim Anblick von Ranjits Kleidung die Lippen geschürzt und anerkennend den Kopf gewiegt.
    »Gut«, sagte ich und versuchte an ihm vorbei zu Kalpana zu gelangen, einer Freundin, die ganz hinten am Tisch saß. Sie arbeitete als Regieassistentin für Mehta-De Souza Productions und wollte selbst Regisseurin werden. Sie schaute zu mir hoch und zwinkerte.
    »Warte«, sagte Ranjit rasch. »Ich wollte dir noch … etwas zu deinen Geschichten sagen … deinen Kurzgeschichten …«
    Ich blickte mich stirnrunzelnd zu Kavita Singh um, die den Blick abwandte und entschuldigend die Hände hob.
    »Kavita hat sie mir zum Lesen gegeben, und ich wollte dir gerne sagen, wie gut sie sind. Ich meine, wie gut ich sie finde.«
    »Danke«, murmelte ich und versuchte mich erneut an ihm vorbeizudrängen.
    »Wirklich, ich hab sie alle gelesen, und ich finde sie großartig.«
    Es gibt kaum etwas Unangenehmeres als eine zutiefst aufrichtige Äußerung von jemandem, den man gerne grundlos verabscheuen möchte. Ich merkte, wie ich rot anzulaufen begann.
    »Danke«, sagte ich, wenigstens um etwas Wahrhaftigkeit bemüht. »Freut mich wirklich sehr, auch wenn Kavita die Storys eigentlich niemandem zeigen sollte.«
    »Ich weiß«, antwortete er rasch. »Aber ich finde, du solltest das tun – sie jemandem zeigen, meine ich. Meine Zeitung ist nicht das richtige Forum dafür. Aber The Noonday wäre perfekt. Und ich weiß, dass die auch anständig zahlen. Der Herausgeber, Anil, ist ein Freund von mir. Ich weiß, was er mag, und ich weiß, dass ihm diese Storys gefallen würden. Aber ich habe ihm natürlich nichts gezeigt. Nicht ohne deine Erlaubnis. Ich habe ihm allerdings gesagt, dass ich sie gelesen habe und gut finde. Er würde dich gerne kennen lernen. Ich denke, ihr würdet euch gut verstehen, und er würde die Geschichten gerne lesen. Okay, das wollte ich nur sagen. Er würde sich sehr freuen, wenn du dich meldest, aber das liegt natürlich ganz bei dir. Wie du dich auch entscheidest: Ich wünsche dir jedenfalls alles Gute.«
    Er setzte sich wieder, und ich begrüßte Kalpana und ließ mich dann wieder auf meinem Platz neben Didier nieder. Ich war so verwirrt von meinem Gespräch mit Ranjit – Jeet – Choudry, dass ich nur mit halbem Ohr Didiers Ausführungen über eine geplante Italienreise mit Arturo zuhörte. Drei Monate, hörte ich ihn sagen, und ich weiß noch, dass ich dachte, aus drei Monaten könnten leicht drei Jahre werden und ich ihn womöglich verlieren würde. Der Gedanke war so erschreckend, dass ich ihn sofort verdrängte. Bombay ohne Didier wäre wie … Bombay ohne das Leopold’s oder die Haji-Ali-Moschee oder das Gateway Monument. Unvorstellbar.
    Ich blickte in die Runde auf meine lachenden, trinkenden, plaudernden Freunde und füllte die Leere in mir, nahm ihre Erfolge und ihre Hoffnungen in mich auf. Dann beschäftigte ich mich wieder mit Ranjit, Karlas Freund. Ich hatte mich in den letzten Monaten genau über ihn informiert. Ich wusste, dass er der zweitälteste – und manche Leute behaupteten, der liebste – der vier Söhne des Ramprakash Choudry war, eines Lastwagenfahrers, der sein Vermögen damit verdient hatte, von Wirbelstürmen verwüstete Küstenorte in Bangladesh wieder aufzubauen. Aus den ersten staatlichen Fördergeldern waren große Verträge geworden, bei denen ganze LKW-Flotten und später Flugzeuge und Schiffe zum Einsatz kamen. Im Zuge eines Zusammenschlusses mit einem Transportund Medienunternehmen hatte er eine kleinere Bombayer Tageszeitung übernommen und sie seinem Sohn Ranjit überlassen, der gerade seinen Abschluss in Betriebswirtschaft gemacht hatte – der erste in der Familie beider Eltern, der

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