Shantaram
ich nach einer Möglichkeit gesucht, Zwilling- und Skorpion-George auf sinnvollere Art und Weise als nur mit den Geldbeträgen zu helfen, die ich ihnen ab und an zukommen ließ. Didiers Urlaub mit Arturo bot nun die ideale Gelegenheit. Ich wusste, dass diese drei Monate in Didiers Wohnung das Leben der Georges um Jahre verlängern würden – drei Monate ohne den Stress des Straßenlebens, in Ruhe und mit gutem Essen, das sie sich selbst zubereiten konnten. Außerdem war mir klar, dass Didier sich Sorgen um seine Wohnung machen würde, wenn die Tierkreis-Georges dort lebten, und deshalb vielleicht früher zurückkommen würde.
»Wohin?«, fragte ich Johnny.
»Zum World Trade Center«, wies Johnny den Fahrer an. Er lächelte mich an, wirkte aber besorgt.
»Was ist los?«
»Wir haben ein Problem im Zhopadpatti«, antwortete er.
»Okay«, sagte ich. Ich wusste, dass er sich nicht weiter dazu äußern würde, bis der richtige Moment gekommen war. »Wie geht’s dem Kleinen?«
»Prima, ganz prima«, antwortete er strahlend. »Er kann meine Finger schon ganz fest packen. Er wird groß und stark werden – größer als sein Vater, ganz bestimmt. Und Prabakers Baby von der Schwester meiner Sita, Parvati, dieses Baby ist auch wunderbar. Er ist sehr ähnlich wie Prabaker … im Gesicht und im Lächeln.«
Ich wollte nicht an meinen geliebten toten Freund denken.
»Und wie geht’s Sita? Und den Mädchen?«, fragte ich.
»Gut, Lin, es geht allen gut.«
»Du musst dich vorsehen, Johnny«, warnte ich. »Drei Kinder in knapp drei Jahren – bevor du dich’s versiehst, bist du ein dicker alter Kerl, um den neun Kinder herumspringen.«
»Ein schöner Traum«, seufzte er glücklich lächelnd.
»Wie geht es mit der Arbeit? Kannst du … genug Geld verdienen?«
»Auch sehr gut, Lin, sehr gut. Alle zahlen Steuern, und keiner will es. Meine Arbeit geht prima. Sita und ich, wir haben das Haus neben uns gekauft, ein größeres Haus für die Familie.«
»Großartig! Da bin ich ja gespannt.«
Ein Schweigen trat ein. Dann blickte mich Johnny mit besorgter, beinahe gequälter Miene an.
»Lin, als du mich gefragt hast, ob ich mit dir arbeiten will und ich nein gesagt habe –«
»Das ist schon okay, Johnny.«
»Nein, nein, ist nicht okay. Ich möchte dir sagen, dass ich hätte ja sagen sollen und mir dir arbeiten.«
»Steckst du in Schwierigkeiten?«, fragte ich, weil ich nicht wusste, worauf er hinauswollte. »Läuft es geschäftlich doch nicht so gut? Brauchst du Geld?«
»Nein, nein, es ist wirklich alles gut bei mir. Aber wenn ich damals mitgemacht hätte, an deiner Seite, würdest du vielleicht nicht mehr in diesem schwarzen Geschäft sein, mit diesen Goondas.«
»Das hat damit nichts zu tun, Johnny.«
»Jeden Tag mache ich mir Vorwürfe, Lin«, sagte er unglücklich. »Ich glaube, du hast mich gefragt, weil du einen Freund an deiner Seite gebraucht hast. Ich war ein schlechter Freund, Lin, und ich fühle mich schuldig. Jeden Tag fühle ich mich schuldig. Es tut mir so sehr leid, dass ich nein gesagt habe.«
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, aber er wich meinem Blick aus.
»Hör zu, Johnny, du musst das richtig verstehen. Meine Arbeit – ich fühle mich nicht gut dabei, aber auch nicht schlecht. Du fühlst dich schlecht deshalb. Ich weiß das zu schätzen, und ich bewundere deine Haltung. Und du bist sehr wohl ein guter Freund.«
»Nein«, murmelte er mit gesenktem Kopf.
»Doch«, widersprach ich ihm. »Ich liebe dich wirklich, Mann.«
»Lin!«, sagte er und packte mich unvermittelt am Arm. »Bitte, bitte, sei vorsichtig mit diesen Goondas. Bitte!«
Ich lächelte beruhigend.
»Mann, willst du mir irgendwann mal sagen, was wir jetzt hier machen?«, sagte ich dann, um ihn abzulenken.
»Bären!«, antwortete er.
»Bären?«
»Na, eigentlich ist nur ein Bär das Problem. Du kennst Kano? Kano, den Bär?«
»Allerdings«, murmelte ich. »Bahinchudh Bär – was ist denn jetzt mit ihm? Ist er wieder ins Gefängnis gesteckt worden?«
»Nein, nein, Lin. Er ist nicht im Gefängnis.«
»Gut. Dann ist er wenigstens kein Wiederholungstäter.«
»Es ist eher so, weißt du, dass er aus dem Gefängnis geflohen ist.«
»Scheiße …«
»Und jetzt ist er ein entflohener Bär, mit Preis auf seinem Kopf oder seinen Tatzen oder jedem Teil von ihm, den sie fangen können.«
»Kano ist auf der Flucht?«
»Ja. Sie haben sogar einen Steckbrief.«
»Sie haben was ?«
»Einen Steckbrief«, wiederholte Johnny
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