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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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unbeschadet und ohne schlimme Krankheiten überstanden habe. Qasim Ali Hussein sei gesund und munter, wurde mir von allen bestätigt, und feierte die Geburt seines vierten Enkels in seinem Geburtsort in Karnataka. Jeetendra schien sich wenigstens insoweit, wie das möglich war, vom Tod seiner Frau bei der Cholera-Epidemie erholt zu haben. Er hatte zwar gelobt, nie wieder zu heiraten, arbeitete, betete und lachte aber offenbar genug, um das lebhafte Leuchten in seinen Augen am Leben zu erhalten. Sein Sohn Satish, der nach dem Tod der Mutter eine Weile zänkisch und verdrossen gewesen war, hatte die Lethargie der Trauer überwunden und sich mit einem Mädchen aus dem Slum verlobt, das er bereits aus Kindertagen kannte. Das Paar war noch zu jung zum Heiraten, doch beide fanden Freude an ihrer Verlobung, und Jeetendra war froh über diese Zukunftsaussichten. Und nacheinander pries an diesem Abend jeder auf seine Art Joseph, den Geläuterten, den neuen Führer, der scheu zu Boden blickte und nur gelegentlich verlegen Maria zulächelte, die an seiner Seite stand.
    Schließlich zog Rakeshbaba den Vorhang beiseite und winkte uns herein. Wir traten ins goldgelbe Licht der Werkstatt, und als wir die vollendete Figur erblickten, seufzten wir alle verblüfft und andächtig. Kano war nicht einfach verkleidet – er war in den Gott mit dem Elefantenkopf verwandelt worden. Der Kopf des Bären war unter einem gewaltigen Haupt verschwunden, das auf einem rosafarbenen Körper mit kugelrundem Bauch thronte. Seitlich waren Arme angebracht. Hellblaue Seidentücher umgaben die Gestalt. Blumengirlanden waren auf dem Karren aufgehäuft und auch um Ganeshs Hals drapiert, um den Übergang zum Kopf zu kaschieren.
    »Ist er wirklich da drin, dieser Kano-Bär?«, fragte Jeetendra.
    Als der Bär seine Stimme hörte, drehte er den Kopf. Was wir nun alle erblickten, war Ganesh, der lebendige Gott, der uns seinen Elefantenkopf zuwandte und uns aus seinen gemalten Augen anstarrte. Natürlich wirkte diese Bewegung nicht menschlich, und alle Anwesenden, auch ich, zuckten verblüfft und erschrocken zusammen. Die Kinder schrien auf und drängten sich rückwärts in das schützende Geflecht aus den Armen und Beinen der Erwachsenen.
    »Bhagwaaaaan«, schnaufte Jeetendra.
    »Wow«, sagte auch Johnny Cigar. »Was meinst du, Lin?«
    »Ich … bin froh, dass ich nicht stoned bin«, murmelte ich und starrte auf den Gott, der jetzt den Kopf schräg legte und einen tiefen grunzenden Laut von sich gab. Ich musste mich regelrecht losreißen von dem Anblick. »Okay, wagen wir’s.«
    Mitsamt etlichen Helfern starteten wir zu unserer Prozession. Als wir das World Trade Center passiert hatten und auf der breiten Wohnstraße unterwegs waren, die zur Back Bay führte, stimmten wir zögerlich unseren Gesang an. Wer neben dem Karren lief, half mit, ihn zu ziehen und zu schieben. Johnny und ich befanden uns am Rand der Gruppe und begannen auch zu singen. Dann steigerten wir das Marschtempo, und unser Gesang wurde kraftvoller. Nach einer Weile schienen die Meisten unserer Helfer vergessen zu haben, dass die ganze Aktion nur dazu diente, einen Bären aus der Stadt zu schmuggeln, und sangen so inbrünstig, wie sie es zweifellos auch eine Woche zuvor bei der echten Prozession getan hatten.
    Mir kam plötzlich in den Sinn, dass ich sonderbarerweise weder im Slum noch hier auf der Straße einen der verwahrlosten Köter gesehen hatte. Da sich die Hunde bei Kanos erstem Besuch im Slum maßlos aufgeregt hatten, fühlte ich mich bemüßigt, das zur Sprache zu bringen.
    »Arrey, kutta nahin«, sagte ich. Komisch, keine Hunde hier.
    Johnny, Narayan, Ali und die anderen Männer, die meine Äußerung gehört hatten, blickten mich erschrocken an. Und in der Tat vernahmen wir nur Sekunden später ein schrilles Geheul. Ein Hund stürzte links von uns aus den Schatten hervor und bellte wie wild. Es war nur ein kleines mickriges Ding, kaum größer als eine durchschnittliche Bombayer Ratte, doch er machte genügend Radau, um unseren Gesang zu stören.
    Binnen Sekunden fanden sich natürlich weitere Artgenossen ein. Von links und rechts kamen sie angerannt, einzeln und in Gruppen, und heulten, kläfften und bellten ohrenbetäubend. Um sie zu übertönen, legten wir noch mehr Kraft in unseren Gesang und behielten dabei die nach uns schnappenden Hunde im Auge.
    Als wir uns der Back Bay näherten, kamen wir an einem offenen maidan vorbei, einem Feld, auf dem eine Gruppe Hochzeitsmusikanten in

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