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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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überlassen und mein Obst und die anderen Sachen mit den anderen Reisenden geteilt hatte. Und er erzählte ihm, dass ich den Bettlern in Bombay oft etwas zusteckte.
    Kishan hielt den Karren jäh an und sprang von dem hölzernen Joch herunter. Er redete aufgeregt auf Prabaker ein. Der drehte sich zu mir um und übersetzte.
    »Will er wissen mein Vater, ob wir haben Geschenke dabei. Geschenke aus Bombay, weißt du, für ihm und für die Familie. Hab ich gesagt ja. Und will er, dass wir ihm geben diese Geschenke jetzt und hier gleich auf diese Stelle, bevor wir fahren weiter.«
    »Er will allen Ernstes, dass wir hier auf diesem Feldweg in unserem Gepäck herumwühlen?«
    »Ja. Hat er Angst, dass du kriegst ein gut Herz, wenn wir ankommen in Sunder, und dass du gibst alle die prima Geschenke an die anderen und dass er keine Geschenk mehr bekommt. Will er alle sein Geschenke jetzt gleich.«
    Und so geschah es. Unter dem indigoblauen Banner des Frühabendhimmels breiteten wir auf dem schmalen Fahrweg zwischen sanft gewellten Mais- und Hirsefeldern die Farben Indiens aus: das Gelb und Rot und Pfauenblau der Hemden, Lungis und Saris. Dann verpackten wir alles wieder neu – in eine Tasche, die für Prabakers Familie gedacht war, steckten wir auch noch die duftenden Seifen, die Näh- und Sicherheitsnadeln mitsamt den Räucherstäbchen, dem Parfum, dem Shampoo und dem Massageöl. Am Ende war sie prallvoll. Nachdem er die Tasche sicher hinter sich auf den Stangen des Zuggeschirrs verstaut hatte, brachte Kishan Mango Kharre die letzte Etappe unserer Reise zu Ende, indem er den stummen, geduldigen Ochsen noch häufiger und heftiger schlug als vorher.
    Und dann, endlich, empfingen uns lachende, aufgeregte Frauen- und Kinderstimmen. Wir hörten sie schon vor der letzten scharfen Kurve, die in das Dorf Sunder führte. Rechts und links einer breiten, sauber gefegten Straße aus festgestampftem goldenem Flusssand standen runde Häuser aus hellbraunem Lehm mit Torbögen, runden Fenstern und kuppelförmigen Strohdächern.Die Häuser waren so versetzt angeordnet, dass sie jeweils kein direktes Gegenüber auf der anderen Straßenseite hatten.
    Es hatte sich bereits herumgesprochen, dass ein Ausländer im Anmarsch war. Den zweihundert Seelen von Sunder hatten sich noch ein paar Hundert aus den Nachbardörfern hinzugesellt. Kishan fuhr mitten in die Menge hinein und blieb vor seinem eigenen Haus stehen. Er grinste so breit, dass unwillkürlich jeder lachen musste, der ihn ansah.
    Wir kletterten von dem Karren herunter, stellten das Gepäck auf den Boden und standen inmitten von sechshundert gaffenden, tuschelnden Menschen. Eine tiefe Stille senkte sich über die Menge, man hörte nur noch leises Atmen. Die Leute waren mir so nahe, dass ich ihren Atem im Gesicht spürte. Sechshundert Augenpaare fixierten mich fasziniert. Niemand sagte etwas. Prabaker stand neben mir, und obwohl er lächelte und es sichtlich genoss, dass dieser Moment ihm eine gewisse Berühmtheit verschaffte, war auch er sichtlich beeindruckt von dem erwartungsvollen Staunen und der gespannten Erwartung der Dorfbewohner.
    »Ihr fragt euch sicher, warum ich euch hier zusammengerufen habe«, sagte ich mit einer Ernsthaftigkeit, die komisch gewesen wäre, wenn jemand den Witz verstanden hätte. Aber natürlich verstand ihn keiner, und das Schweigen verdichtete sich, als noch das leiseste Flüstern erstarb.
    Was sagt man zu einer riesigen Menge fremder Menschen, die darauf warten, dass man etwas äußert, das sie ohnehin nicht verstehen können?
    Mein Rucksack lag zu meinen Füßen. In der oberen Taschenklappe steckte ein Erinnerungsstück, das mir ein Freund geschenkt hatte: eine schwarzweiße Narrenkappe mit drei Stoffhörnern, an denen Glöckchen baumelten. Der Freund, ein Schauspieler aus Neuseeland, hatte die Kappe als Teil eines Kostüms angefertigt. Wenige Minuten vor meinem Abflug nach Indien hatte er sie mir am Flughafen geschenkt, als Glücksbringer und Erinnerung an ihn, und ich hatte sie ganz oben in meinen Rucksack gesteckt.
    Es gibt eine Art von Glück, die entsteht, wenn man zur rechten Zeit am rechten Ort ist, und eine Art von Eingebung, die man erlebt, wenn man auf die richtige Weise das Richtige tut. Und beides wird einem nur zuteil, wenn man das Herz von jeglichem Ehrgeiz, Ziel und Plan befreit; wenn man sich dem goldenen schicksalserfüllten Augenblick hingibt, vollkommen und mit Leib und Seele.
    Ich nahm die Narrenkappe aus dem Rucksack und setzte sie auf,

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