Shantaram
den jungen Gesellen, mit Rafiq«, fuhr Prabaker fort.
Rafiq war um die dreißig. Von seinem spitzen Kinn hing ein zottiger Bart, und als er lächelte, kamen vorstehende auseinanderklaffende Zähne zum Vorschein, und seine Augen verengten sich, was ihn listig und beinahe bösartig wirken ließ.
»Wohnt er auf die andere Seite, unser sehr guter Nachbar Jeetendra. Heißt sie Radha, sein Frau.«
Jeetendra war klein und rund. Er lächelte fröhlich und schüttelte mir die Hand, wobei er unentwegt seinen dicken Bauch rieb. Seine Frau, Radha, reagierte auf mein Lächeln und das Begrüßungsnicken, indem sie sich ihr rotes Baumwolltuch über den Kopf zog und es mit den Zähnen vor dem Gesicht festhielt.
»Wisst ihr was«, sagte Anand beiläufig und in sonderbar gelassenem Tonfall, »ich glaube, da vorne brennt es.«
Er stellte sich auf die Zehenspitzen, schirmte die Augen gegen die Nachmittagssonne ab und spähte über die schwarze Dünenlandschaft der Hütten hinweg. Wir folgten seinem Blick. Eine unheilvolle, schwüle Stille umgab uns. Und dann loderten ein paar hundert Meter entfernt orangefarbene Flammen zum Himmel empor. Eine Explosion folgte, die sich wie eine Gewehrsalve auf einem Metallschuppen anhörte, und die Männer rannten sofort in Richtung der gelben Flammenspeere, die in der Ferne in den Himmel flogen.
Ich stand wie angewurzelt da, fasziniert und bestürzt zugleich von den Flammen und dem aufsteigenden Rauch. Die Stichflammen verschmolzen zu einer Feuerwand und dann wälzte sich uns ein sengendes Flammenmeer entgegen. Gelb, orange und rot lodernd arbeitete es sich, von der Seebrise angetrieben, stetig vorwärts und verschlang die Hütten auf seinem Weg. Es kam direkt auf mich zu, nicht schneller als im Schritttempo, aber stetig, und setzte alles in Brand.
Immer wieder gab es Explosionen – erst eine, dann zwei und schließlich noch mehr. Das mussten die Petroleumkocher sein, die es in jeder einzelnen der siebentausend Hütten gab. Wenn sie unter Druck standen, weil sie in Gebrauch waren, explodierten sie, sobald die Flammen sie erreichten. Der letzte Monsunregen lag schon Wochen zurück, und der Slum war eine riesige Ansammlung pulvertrockenen Brennmaterials, das nun von den vom Wind entfachten Flammen ebenso erfasst wurde wie die dort lebenden Menschen.
Benommen und ängstlich, aber noch nicht panisch, sah ich zu, wie das Inferno sich ausbreitete und unerbittlich näher rückte. Keine Frage, die Menschen hatten den Kampf gegen die Naturgewalten bereits verloren. Ich stürmte in meine Hütte, packte meine Sachen und hastete zur Tür. An der Schwelle setzte ich den Rucksack noch einmal ab und bückte mich, um Kleider und andere Gegenstände aufzuheben, die herausgefallen waren. Als ich kurz aufblickte, bemerkte ich, dass eine Gruppe von zwanzig oder mehr Frauen und Kindern mich beobachteten. In diesem kurzen Moment der wortlosen Kommunikation verrieten sie mir, was sie dachten. Wir starrten einander an, und ich konnte ihre Gedanken hören.
Seht euch diesen großen, starken Ausländer an. Er haut ab und bringt sich in Sicherheit. Und unsere Männer? Die laufen direkt in die Flammen …
Beschämt stopfte ich meine Habseligkeiten in den Rucksack und stellte ihn Radha vor die Füße, die mir eben als meine Nachbarin vorgestellt worden war. Dann drehte ich mich um und rannte in Richtung des Feuers.
Slums wachsen organisch, breiten sich ohne Plan und Regeln aus. Ihre schmalen, verschlungenen Gassen sind zweckmäßig, aber es gibt dort keine Ordnung. Nachdem ich drei, vier Mal abgebogen war, hatte ich komplett die Orientierung verloren. Ich rannte mit einer Gruppe von Männern auf das Feuer zu, direkt in den Qualm hinein. Ein nicht abreißender Menschenstrom kam uns entgegen. Es war ein unübersichtliches Chaos, aber die Flüchtenden halfen den Alten und trieben die Kinder zusammen. Einige schleppten ihre ganze Habe mit sich – Kleider, Kochgeschirr, Kocher und Pappkartons voller Dokumente. Viele waren verletzt, hatten blutende Schnitt- und Platzwunden, schwere Verbrennungen. Der beißende Gestank von brennendem Plastik, Petroleum, Kleidern, Haaren und Fleisch nahm mir fast den Atem.
Ich bog um mehrere Ecken, bis ich den Flammen so nahe war, dass ich ihr Donnern hören konnte. Plötzlich schoss ein lodernder Feuerball zwischen zwei Hütten hervor. Er schrie. Es war eine Frau, die in Flammen stand. Sie lief direkt auf mich zu, und wir prallten zusammen.
Als ich spürte, wie meine Haare, meine
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