Shantaram
uns war fest verschlossen. Es gab kein Entkommen. Wir waren unbewaffnet. Der Mann kam rasch auf uns zu und schwenkte das Schwert jetzt mit beiden Händen über dem Kopf. Es gab keinen Fluchtweg. Mir blieb nur eins: zu kämpfen. Ich trat mit dem rechten Fuß einen Schritt zurück und hob beide Fäuste. Karatestellung. Ich spürte die sieben Jahre Judotraining in meinen Armen und Beinen, und es fühlte sich gut an. Wie alle harten, zornigen Männer versuchte ich Kämpfe zu vermeiden. Doch wenn ich ihnen nicht aus dem Weg gehen konnte, genoss ich sie.
Im letzten Moment trat ein Mann vor und stellte dem Krieger ein Bein. Er fiel hart auf den Steinboden. Das Schwert fiel ihm aus der Hand und landete scheppernd vor Karlas Füßen. Ich schnappte es mir und sah, wie der Mann, der unseren Angreifer zu Fall gebracht hatte, ihm den Arm auf dem Rücken verdrehte und den Hemdkragen so fest zudrückte, dass der Gefangene nur noch schwer atmen konnte. Was immer den Schwertkämpfer bewegt hatte, Zorn oder Wahnsinn, wich aus ihm, und er ergab sich widerstandslos. Einige Männer, die ihn kannten, traten zu ihm und führten ihn durchs Tor auf die Gasse hinaus. Sekunden später kam einer von ihnen zurück und näherte sich mir. Er sah mir in die Augen und streckte mir die offenen Hände hin; ich sollte ihm das Schwert geben. Ich zögerte zunächst, doch dann reichte ich es ihm. Er verbeugte sich höflich und entschuldigend und ging wieder hinaus.
Als alle anderen aufgeregt losredeten, trat ich zu Karla. Ihre Augen waren geweitet vor Erstaunen, und auf ihren Lippen lag ein verblüfftes Lächeln, aber sie schien nicht unter Schock zu stehen. Beruhigt ging ich zu dem Mann, der uns geholfen hatte, um ihm zu danken. Er war groß, ein paar Zentimeter größer als ich, kräftig und athletisch gebaut. Sein dichtes schwarzes Haar, das für die damals übliche Haarmode in Bombay ungewöhnlich lang war, hatte er am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er war in ein lose sitzendes schwarzes Seidenhemd und eine weite schwarze Hose gekleidet und trug schwarze Ledersandalen an den Füßen.
»Abdullah«, stellte er sich vor, nachdem ich ihm meinen Namen gesagt hatte. »Abdullah Taheri.«
»Ich stehe in Ihrer Schuld, Abdullah«, sagte ich mit einem dankbaren, aber vorsichtigen Lächeln. Seine Bewegungen waren von solch martialischer Eleganz gewesen, dass es schien, als könne er mühelos jeden entwaffnen. Doch was einfach ausgesehen hatte, war es nicht. Ich wusste, wie viel Geschicklichkeit und Mut es erfordert hatte, sich dem Attentäter in den Weg zu stellen, und wie entscheidend der Instinkt für das Timing gewesen war. Dieser Mann war ein geborener Kämpfer, ein Naturtalent. »Das war verdammt knapp.«
»Schon gut«, sagte er lächelnd. »Ich glaube, der Bursche war betrunken oder nicht ganz richtig im Kopf.«
»Was auch immer, auf jeden Fall haben Sie was bei mir gut«, beharrte ich.
»Ist schon okay«, erwiderte er lachend.
Es war ein entspanntes Lachen, das strahlend weiße Zähne zum Vorschein brachte und tief aus seiner Brust aufstieg; ein Lachen, das von Herzen kam. Seine Augen hatten die Farbe von einer Handvoll Sand, kurz bevor die Sonne im Meer versinkt.
»Trotzdem möchte ich mich bei Ihnen bedanken.«
»In Ordnung«, lenkte er ein und schlug mir auf die Schulter.
Ich kehrte zu Karla und Prabaker zurück, und als wir die Haschischhöhle verließen, war Abdullah schon verschwunden. Die Gasse war menschenleer, und wir fanden ein Taxi, das uns nach Colaba fuhr. Karla schwieg während der ganzen Rückfahrt, und auch ich blieb stumm. Ich fühlte mich elend, weil mein Versuch, sie zu beeindrucken, so dramatisch und chaotisch geendet hatte. Nur Prabaker war in Plauderlaune.
»Was für ein prima glückliches Entwischen!«, sagte er vom Beifahrersitz aus und grinste uns abwechselnd an. Wir saßen nebeneinander, aber jeder war in seinen eigenen Gedanken versunken. »Hab ich gedacht, dass er uns haut in kleine Stückchen, ganz bestimmt, diese Bursche. Sollen manche die Leute besser kein Charras rauchen, oder? Werden sie so böse, wenn ihr Hirn macht Pause.«
Vor dem Leopold’s stieg ich aus und blieb noch einen Augenblick bei Karla stehen. Prabaker wartete im Taxi auf mich. Menschenmengen drifteten vorbei, während Karla und ich uns stumm anblickten, isoliert auf unserer Insel des Schweigens.
»Kommst du nicht mit rein?«
»Nein«, erwiderte ich und wünschte mir inständig, diese Szene wäre so von Kraft und Zuversicht
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