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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Qasim vollführte verzweifelte Schachzüge mit uns, um das Feuer auszuhungern und langsam Boden zu gewinnen.
    Als eine Böe schwarzen und braunen Qualms in unsere Schneise drückte, verloren wir Qasim Ali Hussein aus den Augen. Ich war nicht der Einzige, der daran dachte, den Rückzug anzutreten. Doch dann sahen wir durch Rauch und Staub sein hochgehaltenes grünes Tuch im Wind flattern. Er behauptete seine Stellung. Ruhig und mit Bedacht schätzte er die Lage ein und erwog den nächsten Schritt. Das grüne Tuch wehte wie eine Fahne über seinem Kopf. Als der Wind umschlug, fassten wir neuen Mut und stürzten uns wieder in die Arbeit. Die Tapferkeit des Mannes mit dem grünen Tuch übertrug sich auf mich, auf uns alle.
    Nachdem wir ein letztes Mal durch die versengten Gassen und die verkohlten Überreste der Häuser gestreift waren, um nach Überlebenden zu suchen und die Toten zu zählen, versammelten wir uns, eine trauernde Menge, um Bilanz zu ziehen und zu erfahren, welchen Tribut das Feuer gefordert hatte. Zwölf Menschen waren umgekommen, darunter sechs Alte und vier Kinder. Es gab über hundert Verletzte mit Verbrennungen und Schnittwunden. Viele waren schwer verletzt. An die sechshundert Hütten waren verloren gegangen – fast ein Zehntel des Slums.
    Johnny Cigar übersetzte die Zahlen für mich. Ich hörte ihm zu, studierte dabei jedoch Qasim Alis Gesichtsausdruck, als er seine eilig aufgesetzte Liste der Verletzten und Toten verlas. Als ich Johnny anblickte, sah ich, dass er weinte. Prabaker drängte sich gerade durch die Menge zu uns, als Johnny mir erzählte, dass unter den Toten auch Raju war. Raju mit dem traurigen, ehrlichen, freundlichen Gesicht. Der Mann, der mich eingeladen hatte, im Slum zu wohnen. Tot.
    »Verdammt prima Glück gehabt!«, kommentierte Prabaker fröhlich, als Qasim Ali seine Liste verlesen hatte. Prabakers rundes Gesicht war rußschwarz, sodass seine Augäpfel und die Zähne fast übernatürlich leuchteten. »In letztem Jahr, bei das letzte großes Feuer, ist es abgebrannt ein ganze Drittel von unser Slum. Eins von drei Häuser! Sind zerstört geworden mehr als zweitausend Häuser! Kalaass! Und mehr als vierzig Leute tot außerdem. Vierzig. Sind das viele zu viele, Lin, glaubst du mir. Diese Jahr ist es ein glückliche Feuer. Sind alle die unsere Häuser noch da! Bhagwan segne unseren Bruder Raju.«
    Vom Rand der ernsten Menschenmenge her ertönten Rufe, die uns ablenkten, und als wir uns umdrehten, sahen wir, wie sich einer der Suchtrupps den Weg zu Qasim Ali bahnte. Eine Frau aus der Gruppe hielt einen weinenden Säugling im Arm, den sie aus den schwelenden Trümmern geborgen hatten. Prabaker übersetzte mir das aufgeregte Rufen und Reden. Drei benachbarte Hütten waren in der Feuersbrunst zusammengestürzt und hatten eine Familie unter sich begraben. Das kleine Mädchen hatte überlebt, die Eltern jedoch waren erstickt. Gesicht und Oberkörper der Kleinen waren unversehrt, aber sie hatte schlimme Verbrennungen an den Beinen und brüllte vor Angst und Schmerzen.
    »Sag ihnen, sie sollen mitkommen!«, rief ich Prabaker zu. »Zeig mir den Weg zu unserer Hütte zurück. Und sag ihnen, dass sie mitgehen sollen. Ich hab Medikamente und Verbandsmaterial in der Hütte!«
    Prabaker hatte meinen großen, beeindruckenden Verbandskoffer schon oft gesehen und wusste, dass er Verbandsmaterial, Salben und Cremes, Desinfektionsmittel, Tupfer und einen Satz chirurgische Instrumente enthielt. Er begriff sofort und rief Qasim Ali und den anderen etwas zu. Ich hörte, dass er mehrmals die Worte Medikamente und Arzt wiederholte. Dann packte er mich am Ärmel, zog mich hinter sich her und rannte zur Hütte.
    Ich klappte den Verbandskasten auf dem Boden auf und bedeckte die Beine der Kleinen mit einer dicken Schicht anästhetischer Salbe. Sie begann fast unmittelbar zu wirken. Das Schreien ebbte ab und wurde zu leisem Wimmern, und die Kleine schmiegte sich in die Arme ihrer Retterin.
    »Doktor … Doktor … Doktor«, hörte ich die Leute um mich herum sagen.
    Als die Sonne im Arabischen Meer versank und der lange Bombayer Abend zu einer warmen, sternfunkelnden Nacht wurde, ließ Qasim Ali Lampen bringen. In ihrem flackernden gelben Licht verarzteten wir die verletzten Slumbewohner. Johnny Cigar und Prabaker assistierten mir in der provisorischen kleinen Freiluftpraxis als Übersetzer und Krankenpfleger. Am häufigsten waren Verbrennungen, Platzwunden und tiefe Schnittwunden, doch viele Leute hatten

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