Shaolin - Du musst nicht kämpfen, um zu siegen!: Mit der Kraft des Denkens zu Ruhe, Klarheit und innerer Stärke
Momente. Wann für mich ein Zeitpunkt gut ist, können Sie natürlich nicht wissen. Wann er für Sie gut ist, allerdings schon.
Ich ganz persönlich bin ein Abendmensch. Wollten Sie bei mir einen geschäftlichen Termin, ich würde Sie nicht vor elf Uhr vormittags bestellen. Das ist einfach die Zeit, ab der ich in der besten Verfassung bin. (Natürlich würde ich Ihnen den wahren Grund für den späten Termin nicht verraten. Es wäre einfach die morgendliche Besprechung mit den Kollegen im Weg.)
Wären Sie mein Vorgesetzter und wüssten um diesen Umstand, Sie würden alle für Sie unangenehmen Gespräche mit mir möglichst in die Früh verlegen. Die wenigsten Menschen denken daran, dass es für alles auch einen persönlich richtigen Moment gibt.
Nehmen wir an, Sie möchten, dass Ihr Chef eine Unterschrift leistet, ohne vorher viel nachzufragen und lange zu diskutieren. Aus verlässlicher Quelle haben Sie erfahren, dass er am Mittwoch ein Geschäftsessen mit ausländischen Gästen hat, bei dem üblicherweise auch viel getrunken wird. Das Schreiben am Donnerstag früh zur Unterschrift vorzulegen kann zumindest eine Überlegung wert sein.
Auch ein guter Kämpfer wird seinen Angriff dann beginnen, wenn er selbst bei höchster Konzentration und sein Gegner vielleicht noch abgelenkt ist. »Auch im Einzelkampf zeige äußerlich und innerlich Gelassenheit, nutze dann den Augenblick, in dem die Anspannung des Gegners nachlässt, und sichere dir so durch einen raschen und kraftvollen Hieb Vorteil und Sieg«, heißt es bei Musashi.
Wann laufen Sie zur Hochform auf? Und wann sind Sie am meisten verwundbar? Schreiben Sie es in Ihr Heft.
Die Gelegenheiten, die es zu ergreifen gilt, beschränken sich aber nicht nur auf Augenblicke. Was die Kampfmönche von Shaolin seit ihrem Bestehen ausgezeichnet hat, ist ihre Fähigkeit, aus allem eine Waffe zu machen.
Ich werde nie vergessen, wie einer von ihnen mein Stativ ganz interessiert auf seine kampftechnischen Qualitäten hin untersucht hat. Ein Schütze ohne sein Gewehr ist ebenso wehrlos wie ein Ritter ohne sein Schwert. Um ihn kampfunfähig zu machen, reicht es, ihm seine Hilfsmittel zu entwenden. Ein wirklich guter Kämpfer braucht nichts als sich selbst. Alles andere findet sich. Sei es der Sand vom Boden, den er dem Gegner in die Augen schleudert, der Dreschflegel eines Bauern, den er in eine tödliche Waffe verwandelt, oder ein einfacher Stock, mit dem er sich seine Gegner vom Leib hält.
Ein Kämpfer aus Shaolin ergreift Gelegenheiten, die sein Gegner oft gar nicht sieht. Er weiß, dass sich am Ort des Kampfes alle Mittel finden werden, die er braucht.
Ein Shaolin-Mönch vertraut auf sein Können und das Prinzip der Gelegenheit. Genau das macht ihn für seine Gegner so unberechenbar und gefährlich.
Das Prinzip der Gelegenheit hält aber noch ein weiteres, sehr mächtiges Instrument bereit: die Geduld. »Wer geduldig am Fluss wartet, wird die Leichen seiner Feinde vorbeitreiben sehen«, sagt man in Shaolin.
Die Blauen und die Gelben
Es gibt eine Geschichte vom Volk der Blauen, die mit dem Volk der Gelben Krieg führen. Beide Parteien liegen in ihren Gräben versteckt, so dass die Gegner sie nicht sehen können. Was die Gelben auszeichnet, ist ihre ausgeprägte Ungeduld. Die Blauen wissen darum und beginnen dies zu nutzen. Nach einer langen Zeit der Stille beginnt Offizier Blau 1 laut zu rufen: »Gelb 1 , Gelb 1 !« Prompt kommt die Antwort: »Ja, hier!«, und die Gelben haben einen Mann weniger. Nachdem sie einige ihrer Männer auf diese Art verloren haben, beschließen die Gelben, den Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen.
Der Kommandant der Gelben schreit mit lauter Stimme: »Blau 1 , Blau 1 !« Nichts rührt sich. Ungeduldig wiederholt der Kommandant seinen Aufruf. Endlich, nach dem fünften Mal, eine Stimme aus dem nichts: »Wer hat gerade Blau 1 gerufen?« Der Kommandant springt sofort aus dem Graben und schreit: »Hier! Das war ich …!«
Geduld führt zum Erfolg
Im Kapitel Nachahmung haben Sie gelesen, dass die Mönche des Shaolin Betrunkene imitieren. Je nachdem, wie es die Situation gebietet, verwandeln sie sich auch in vermeintlich schlafende oder erschöpfte Menschen. Alles mit einem Ziel: den unvorsichtig gewordenen Gegner möglichst nahe herankommen zu lassen, um dann blitzschnell zuzuschlagen.
Neben perfekter Nachahmung ist echte Geduld der Weg zum Erfolg. Auch wenn er einen Schlafenden nachahmt, muss der Kämpfer in jedem Augenblick voller
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