Shaolin - Du musst nicht kämpfen, um zu siegen!: Mit der Kraft des Denkens zu Ruhe, Klarheit und innerer Stärke
Konzentration sein, immer bereit, zuzuschlagen. Gibt er sich aber auch nur einen Sekundenbruchteil zu früh zu erkennen, ist der Gegner gewarnt und der Vorteil dahin. Menschen haben schon jahrelang auf den richtigen Moment gewartet und dann alles verloren, weil sie in den entscheidenden letzten Minuten die Geduld verloren haben. Ein Gegner aber, der Gelegenheit und Ausdauer zu vereinen versteht, ist Meister der Überraschung. Funakoshi Gishin, der Begründer des modernen Karate-Do, beschreibt es so: »Wenn der Adler sich beim Angriff hinabstürzt, hat er die Flügel nicht ausgebreitet. Kurz vor seinem Sprung auf die Beute macht sich der Tiger ganz klein, hat die Ohren angelegt. Ebenso lässt beim Weisen nichts darauf schließen, dass er an dem Punkt zu handeln angelangt ist.«
Von Miyamoto Musashi ist überliefert, dass ihn eines Tages ein dreizehnjähriger Knabe zum Kampf aufforderte. Kurz zuvor hatte er dessen Vater und Onkel besiegt. Musashi kam lange vor dem verabredeten Termin zum Kampfplatz. Er suchte sich ein Versteck und wartete. Der Junge, der den festen Vorsatz hatte, ihn zu töten, erschien mit schwerbewaffnetem Gefolge, aber Musashi war nirgends zu sehen. Erst als alle bereits glaubten, er hätte sich voller Angst aus dem Staub gemacht, und schon den Rückzug antreten wollten, stürmte Musashi aus dem Schatten hervor und schlug den Knaben nieder. Mit beiden Schwertern bahnte er sich seinen Weg durch die Menge und suchte das Weite. Und während die anderen wohl noch lange diskutierten, was zu tun sei, war der Samurai schon längst über alle Berge.
Handlungsbereit sein
In der Zeit des Kalten Krieges, als sich die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion als unerbittliche Feinde gegenübergestanden sind, hat mir mein Großvater versucht zu erklären, was genau eigentlich die diktatorisch regierte UdSSR so gefährlich gemacht hat. »Wenn die Amerikaner einen Krieg beginnen wollen, weil der Zeitpunkt günstig ist, dann muss das erst in den Kongress und dann noch hier und dort abgesegnet werden. Dann ist der günstige Zeitpunkt aber schon vorbei. Wenn der Präsident der Sowjetunion sagt, in einer Stunde ist eine gute Gelegenheit, da schlagen wir los, dann passiert das auch so.« Auch wenn ich heute weiß, dass die Sache nicht ganz so einfach ist, habe ich daraus etwas Wichtiges gelernt: Eine fantastische Möglichkeit, den Gegner zu lähmen, ist es, ihn als Teil einer Gruppe anzusprechen. Sie wissen, zehn Leute, elf Meinungen, ewige Diskussionen. »Könnt ihr diesen Auftrag da machen, oder soll besser doch ich ihn übernehmen?« – »Da muss ich die anderen fragen, aber N. ist erst am Mittwoch wieder da.«
Je unflexibler ein Gegner ist, desto ungefährlicher ist er.
Der chinesische Feldherr Sunzi hat einmal gesagt: »Es ist leicht, das Verhalten einer größeren Anzahl von Männern zu durchschauen, weil sie ihre Stellung nicht so rasch verändern können. Ein Einzelner hingegen – er handelt aus einem einzelnen Entschluss heraus – ist fähig zu raschen Veränderungen, die sich nur schwer abschätzen lassen.«
In der Praxis des Kampfes sieht diese Technik folgendermaßen aus: Sie und ich sind Kollegen, und auf die soeben auftretende Gelegenheit haben wir beide lange gewartet. Beide sind wir vorbereitet, aber nur einer von uns kann sie am Ende ergreifen. Grundsätzlich haben Sie die besseren Karten. Wir müssen aber unsere Entscheidung innerhalb einer Minute treffen. Im ausschlaggebenden Augenblick stelle ich die Frage: »Bist du eigentlich sicher, dass dein Partner damit auch wirklich einverstanden ist? Es wäre ja doch für euch beide eine große Veränderung …« Telefonieren können Sie nicht mehr, da reicht die Zeit nicht. Eigentlich haben Sie das ja alles geklärt, aber ich schaffe es, Sie im entscheidenden Augenblick schwach zu machen. Sie sind aus dem Rennen.
Wenn nämlich Gruppen auch viel mächtiger aussehen und man ihnen daher fälschlich mehr Stärke zutraut, die gefährlicheren Gegner sind einzelne, bewegliche Kämpfer. Ein Einzelner kann kleine Gelegenheiten im Vorbeigehen ergreifen, bei denen die Gruppe in ihrer Trägheit nicht einmal anhalten kann.
Als die Mönche des Shaolin-Tempels im Jahr 621 das erste Mal im Kampf gegen eine übermächtige Armee zu Hilfe geholt wurden, entschied sich der Abt, dreizehn Mönche zu entsenden. Im Verhältnis zu einer Armee eine erstaunlich geringe Zahl. Trotzdem konnte die verteilte Kloster-Truppe mit Hilfe der Bauern und deren zu
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