Shaos Todeswelt
Perkins? Habe ich ihr nicht den Schlüssel überlassen, damit sie sich um Shao kümmert?«
»Hast du.«
»Und auch sie hat nicht abgenommen.«
»Es kann sein, dass sie noch nicht eingetroffen ist.«
»Warum rufst du dann nicht im Büro an?«
»Das wollte ich gerade tun.«
»Okay, ich warte.«
Ich wartete ebenfalls. Wir beide warteten vergebens. Niemand hob ab. Der Ruf wurde zurück an die Zentrale geleitet, und ich hörte die nette, weiche Stimme der Telefonistin.
Es war zwar unhöflich, aber ich fiel ihr trotzdem ins Wort, bevor sie den Satz hatte aussprechen können. »Sinclair hier. Entschuldigen Sie bitte, aber ich möchte nur wissen, ob Sie Glenda Perkins heute schon gesehen haben.«
»Das habe ich. Es ist nicht lange her, als sie unser Haus verließ. Sie schien in Eile zu sein.«
»Wissen Sie noch, wann das gewesen ist?«
»Vor ungefähr - lassen Sie mich nachrechnen… Eine halbe Stunde ist es etwa her.«
»Danke, das reicht.«
Suko war so nahe an mich herangetreten, dass er hatte mithören können.
Jetzt starrte er mir ins Gesicht.
Sein Blick war hart, aber auch furchtsam, und er schüttelte den Kopf. »Sie hätte schon alles erledigt haben müssen, John.«
»In einer halben Stunde? Glenda kann nicht fliegen.«
»Du klammerst dich an einen Strohhalm.«
»Nein, Suko, das tue ich nicht. Ich versuche die Dinge so real wie möglich zu sehen.«
»Ja, da brauchst du nur auf den Bildschirm zu schauen.«
»Möchtest du hier weg?«
Er überlegte nicht lange. »Am liebsten ja. Ich muss nach Hause. Es drängt mich dorthin. Sogar an den Computer«, fügte er unter einem bitteren Lachen hinzu.
»Gut, dann fahren wir.«
»Das denke ich nicht«, meldete sich Cheng, den wir schon vergessen hatten. Er erinnerte sich selbst an sein Dasein, denn als wir uns drehten, da starrten wir in die Mündung eines kurzläufigen Revolvers, und wir sahen auch das böse Grinsen in seinem Gesicht. »Wir alle wollen doch sehen, wie das Spiel endet, nicht wahr?«
Ich hörte Suko neben mir stöhnen. Er war nicht in der Lage, eine Frage zu stellen. Das übernahm ich. »Und wie, bitte, sollte es denn Ihrer Meinung nach enden?«
Er gab die Antwort flüsternd und genussvoll. »Mit dem Tod Ihrer Freundin…«
***
Es ist nicht wahr! dachte Shao. Es kann nicht wahr sein. Vorhin noch hielt ich mich in meiner Wohnung auf, und jetzt befinde ich mich in einer Welt, die es eigentlich nur als künstliche gibt und sich nicht einmal in einer anderen Dimension befindet.
Damit kam Shao überhaupt nicht zurecht. Das unfreiwillige Hineintauchen in das Videospiel war überhaupt nicht mit den ihr bekannten Dimensionssprüngen zu vergleichen. Mit ihnen wäre sie noch zurechtgekommen, aber nicht mit dieser neuen Wahrheit, die ihrer Meinung nach so gar nichts mit einer magischen Zeitreise zu tun hatte.
Trotzdem musste sich Shao damit abfinden. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, fühlte sie sich nicht mal so schlecht, denn sie war wieder zu der Person geworden, wie die Sonnengöttin sie liebte. Ein kämpfendes Phantom aus einer anderen Dimension. So etwas wie eine Leibwächterin für Amaterasu.
Sie lebte. Sie bestand aus Fleisch und Blut. Sie war ein anderer Mensch. Ganz im Gegenteil zu der Shao, die in ihrer Nähe stand, halbnackt, mit einem Speer bewaffnet, die der echten Shao glich wie ein Ei dem anderen.
Sie würde an ihrer Seite bleiben, denn als Feindin sah Shao diese Person nicht an.
Nur dachte sie noch einen Schritt weiter. Sie selbst war der normale Mensch. Sie konnte sich bewegen, wann und wie sie wollte, auch wenn sie eine Gefangene des Spiels war. Zumindest ging sie davon aus. Wie aber würde die virtuelle Shao reagieren?
Die echte glaubte nicht daran, dass sie aus eigenem Antrieb handelte. Sie war eine Kunstfigur, sie musste von einem Spieler geleitet werden, durch eben das Verschieben und Klicken der Maus. So war es durchaus möglich, dass sie, wenn jemand spielte, anders handelte als die echte Shao.
Der Gedanke daran machte ihr nicht gerade Mut, aber er ließ sich auch nicht verdrängen. Shao gestand sich ein, dass sie da durch musste, und sie hatte zudem noch eine andere Aufgabe zu erfüllen. Sie musste den Fächer suchen und finden. Erst wenn die Sonnengöttin ihn in ihrem Besitz hatte, konnte sie aus der Dunkel- und Totenwelt befreit werden, an deren Ausmaß Shao nicht einmal zu denken wagte, denn sie kamen ihr beinahe unendlich vor.
Noch befanden sich die drei Personen unterhalb der normalen Erde. Ein Hindernis
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