Shaos Todeswelt
roter Lappen.
»Kann ich die Diskette einlegen?« fragte Cheng.
»Ja, sie können.«
Während der Mann das tat, rückten Suko und ich uns Stühle zurecht und stellten sie so hin, dass wir ohne Schwierigkeiten auf den Bildschirm schauen konnten.
Auch Cheng hatte sich gesetzt und eine günstige Position eingenommen. So konnte er die Maus bedienen.
»Wir können anfangen«, sagte ich. »Ja, ist gut.«
In der Umgebung war es dunkel genug. So zeichnete sich das Bild klar und deutlich auf dem Monitor ab. Als ich die rote, nach unten verlaufene und auch tropfende Schrift sah, wusste ich, dass mich beileibe kein Spaß erwartet. Auch Suko dachte ähnlich, denn sein Gesicht war ernst wie selten.
***
Es waren tatsächlich die Abenteuer der Frau, die eine so große Ähnlichkeit mit Shao hatte, dass es schon erschreckend wirkte. Keiner von uns sagte etwas, aber Suko litt stärker als ich, denn er hatte seine Hände zu Fäusten geschlossen.
Shao war zu einer Kriegerin geworden. Sie wirkte wüst und auch kampferprobt. Bewaffnet war sie mit einer Lanze, deren lange Spitze heller schimmerte. Sie drang in diese Totenwelt ein, aber sie blieb nicht nur an der Oberfläche, sondern stieg auch in die Unterwelt hinab und schien sich dort in einem Gang zu verlaufen.
Suko war natürlich gespannter als ich. Er saß leicht nach vorn gebeugt in seinem Stuhl, den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet. Ich sah den einen oder anderen Schauer, der über seine Haut rann. Die Gefühle konnte ich verstehen, und ich nahm mir jetzt schon vor, diesem Cheng einige Fragen zu stellen, wenn das Spiel gelaufen war. Ob wir es wirklich durchbekamen, stand in den Sternen, aber wir würden so einfach nicht aufgeben, das war sicher.
Das Spiel lief weiter. Die Hand des Mr. Cheng lag auf der Maus. Er bewegte sie hin und her, klickte, wenn es nötig war und sich der Pfeil in einen Gegenstand veränderte, der einer fliegenden Untertasse glich.
Neue Bilder entstanden. Täuschend echt. Da konnte man schon den Eindruck gewinnen, als würde ein Kinofilm ablaufen. So gut hatte ich ein Computerspiel noch nicht erlebt, aber ich war auch kein Fachmann, das musste ich zugeben.
Dann traf Shao mit dem Monster zusammen. Es versperrte ihr den Weg zu einem Altar, auf dem eine Frau lag, die wir als Spieler nicht näher erkennen konnten. Erst musste das Monstrum aus dem Weg geräumt werden.
Das schaffte Shao.
Das Monstrum erlitt einen virtuellen Tod. Ein Blitz entstand, dem eine dunkle Wolke folgte. Wenig später war das Hindernis aus dem Weg geräumt, und auch wir konnten den Altar sehen, auf dem tatsächlich eine weibliche Gestalt lag.
In den folgenden Sekunden bekamen wir etwas präsentiert, mit dem ich zumindest nicht gerechnet hatte. Es lief alles nicht schnell ab. Trotzdem überkam mich der Eindruck, die Vorgänge im Zeitraffertempo zu erleben. Da richtete sich die Person auf, die durch ihr puppenhaftes Gehabe auffiel. Es war Amaterasu, die Sonnenkönigin. Noch gefangen in der Dunkel oder Totenwelt.
Ich hielt den Atem an.
Suko drehte seinen Kopf nach rechts, um mich anschauen zu können. Er brauchte mich nicht anzusprechen, sein Nicken sagte mir genug. Wir dachten beide das gleiche.
Das Spiel lief weiter, allerdings anders, als wir es uns vorgestellt hatten.
Aus dem Hintergrund löste sich eine zweite Person. Noch ein Schatten, der aber kam naher und bildete sich aus der Dunkelheit hervor, so dass er jetzt auch für uns Spieler zu erkennen war.
Eine Frau?
Ja, es war der Körper einer Frau, allerdings sehr dunkel, und das wiederum lag nicht am Hintergrund.
Cheng überraschte uns. Er stieß einen Laut aus, der mehr an ein Stöhnen erinnerte. Dabei schüttelte er den Kopf.
»Was ist los?« fragte ich.
»Ich - ahm - ich begreife es nicht.« Seine Hand hatte sich von der Maus gelöst. Trotzdem lief das Spiel weiter.
»Reden Sie doch!«
»Diese andere da…« Er stockte.
»Ja, was ist mit ihr?«
»Die gehört nicht dahin!«
Sollten wir ihm das glauben? Ich wusste mir keinen Rat. Eine Antwort fiel mir verdammt schwer, und so konnte ich mich nur auf sein Gehabe konzentrieren. Wenn er tatsächlich schauspielerte, dann war er ein Superstar, denn was er hier machte, das sah schon perfekt aus.
Wieder brauchte er das Taschentuch, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. »Ich weiß es nicht. Ich hänge durch. Ich kann mir nicht erklären, wie diese Person ins Spiel kommt. Ich kenne es doch. Ich habe es durchlaufen lassen, aber diese Frau ist mir
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