Shaos Todeswelt
wünsche ich Glück. Du musst es schaffen, Shao. Du musst die Schlucht überwinden, um an die Quelle des Lebens zu gelangen. Sie ist der Ausweg, nur sie…«
»Aber…«
Es gab kein Aber mehr. Amaterasu ließ die Hand der Chinesin los. Shao spürte nicht mal einen Ruck, aber plötzlich war das Gewicht der anderen Person nicht mehr da.
Sie sah einen fallenden Körper, einen, bei dem der Gegenwind die Kleidung in die Höhe wehte. Ein flatterndes Etwas, das plötzlich gegen die Spitzen der Pfähle schlug.
Shao hörte das schreckliche Geräusch. Sie hielt für einen Moment die Luft an. In dieser Zeit erreichte sie die Stille, die genau zu dieser verdammten Totenwelt passte.
Es war vorbei…
Aber eine war übrig.
Shao wusste, dass sie alles tun durfte. Nur nicht aufgeben und sich fallen lassen. Außerdem hatte sie nicht vergessen, was ihr Amaterasu zum Abschluss mit auf den Weg gegeben hatte. Es waren Versuche für Erklärungen gewesen, aber ein Begriff war am wichtigsten gewesen.
Die Quelle des Lebens!
Auch so etwas existierte in einer Totenwelt. Da gab es nicht nur den Verfall und das große Leid, sondern auch eine Hoffnung, eben die Quelle, zu der Shao hinmusste.
Noch aber hing sie über den Pfählen. Es ging ihr jetzt etwas besser, da sie sich mit zwei Händen festklammern konnte. Ihr Körper schaukelte nur mehr leicht, und so fing sie an, nach einem Ausweg aus der Misere zu suchen.
Um die andere Seite zu erreichen, musste sie wieder auf die Brücke.
Eine andere Chance gab es nicht.
Das war leichter gedacht, als getan. Shao suchte nach einer Stelle, an der sie wieder hochklettern konnte. Zum ersten Mal störte sie das Gewicht ihrer Waffen, doch sich davon zu trennen, kam ihr nicht in den Sinn.
Sie hangelte sich weiter vor.
Es war eine wahnsinnige Anstrengung, denn sie musste immer die Seile unter den Planken umfassen. Bei jedem Zugreifen, fing die Brücke an zu schwanken. Sie sackte dann jedes Mal durch, und in Shao stieg die Lohe der Angst davor hoch, dass dieses gesamte Gebilde zusammenbrechen könne.
Aber es hielt. Shao konnte das Loch überwinden, bis sie wieder eine normale Stelle erreichte, an der auch die Balken lagen. Hier fand sie besseren Halt.
Sich in die Höhe zu schwingen, war leider nicht möglich. Shao hangelte sich hoch. Mit der gekrümmten rechten Hand griff sie zu, erreichte einen Halt, hing aber noch mit dem Unterkörper in die Schlucht hinein, während der Oberkörper schon auf den hölzernen Trittstufen lag.
Eine recht gute Ausgangsposition. Shao ließ sich Zeit. Nicht nervös werden, nur nichts überstürzen. Der geringste Fehlgriff konnte ihren Tod bedeuten.
Sie schob sich weiter und konnte wieder aufatmen, als sie an der rechten Kniescheibe den ersten Widerstand des Trittbalkens spürte. Das linke Bein folgte.
Es klappte trotz der schweren Waffen auf ihrem Rücken. Flach lag Shao auf der Hängebrücke. In ihr wallte der Jubel hoch, doch sie unterdrückte ihn. Noch hatte sie es nicht geschafft. Die gegenüberliegende Seite der Schlucht war weit entfernt. Zumindest, wenn man sie auf eine bestimmte Art und Weise erreichen wollte.
Shao blieb zunächst auf dem Bauch liegen. Sie überlegte sogar, ob es nicht besser war, wenn sie den Rest der Strecke kriechend zurücklegte. Da war das Gewicht dann besser verteilt. Trotzdem entschied sich die Chinesin für eine andere Möglichkeit. Sie hatte den ersten Teil auch auf ihren eigenen Füßen zurücklegen können, und zudem war sie allein und brauchte auf keine andere Person mehr Rücksicht zu nehmen.
Shao erhob sich.
Es war nicht nur ein simples Aufstehen. Sie musste schon achtgeben, denn sie wollte auf keinen Fall ein zu starkes Schwanken riskieren und damit das Kippen der Brücke.
Es klappte.
Als sie dann auf diesem schmalen Trittbrett stand und sich wieder mit beiden Händen am ›Geländer‹ festhielt, kam ihr zum ersten Mal der Gedanke, dass sie das Gröbste hinter sich gelassen hatte.
Aber es lag noch eine lange Strecke vor ihr, und unter ihr lauerte der Tod.
Shao achtete sehr darauf, wohin sie trat. Ein Fehltritt konnte tödlich enden. Aber sie bekam Routine, wurde sicherer. Und die Brücke schwankte nicht mehr so stark. Zwar konnte Shao nicht normal gehen, aber die Seile an den Seiten sorgten für eine zusätzliche Sicherung. Sie kam relativ gut voran, auch wenn manche Bohle manchmal so weich wie Pudding war und Vorsicht höchstes Gebot war. Wichtig war das Ziel. Und es rückte näher.
Die gegenüberliegende Seite malte
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