Shaos Todeswelt
Beratung der Kundschaft. Um diese zu gewährleisten, müssen die Mitarbeiter alle neuen Spiele durchchecken. Nicht mehr und nicht weniger. Nichts anderes hat Grace Simonis getan. Dabei ist ihr die frappierende Ähnlichkeit aufgefallen. Deshalb hat sie mich alarmiert, und ich habe euch Bescheid gegeben.«
Suko war noch weniger überzeugt als ich. Das sahen wir ihm an. Er sprach es auch aus. »Also ich stehe da noch immer im luftleeren Raum. Nachvollziehen kann ich das nicht.« Er lächelte Glenda zu, als er in seine Tasche griff. »Hier, damit du siehst, dass ich dir vertraue. Ich überlasse dir unseren Wohnungsschlüssel.«
Glenda nahm ihn gern entgegen. »Danke, das ist schon was wert. Ich hoffe nur, dass ich mich irre.«
Die Anschrift der Firma drückte sie mir in die Hand. »Damit ihr euch nicht verlauft.«
»Keine Sorge, wir nehmen ja die U-Bahn. Wann willst du zu Shao fahren, Glenda?«
»In fünf Minuten, denke ich.«
»Okay, wir hören voneinander.«
Etwas nachdenklich und auch seltsam berührt verließen wir erst das Büro und gingen danach durch das Vorzimmer, wobei ich einige Male die Schultern hob und Suko auch den Kopf schüttelte, weil er mit gewissen Dingen noch nicht zurechtkam.
»Glaubst du es denn?« fragte er mich wenig später, als wir im Aufzug standen und nach unten fuhren.
»Es ist schwer, das gebe ich zu.«
»Eben.«
»Aber Shao ist doch zu einer Surferin oder zu einem Computer-Freak geworden. Das brauche ich dir doch nicht extra zu sagen.«
»Stimmt alles, John. Und trotzdem kann ich nicht so richtig die Kurve kriegen. Das ist mir einfach zu weit weg, zuwenig real.«
»Auch möglich. Was ist denn, wenn jemand Shao eine Falle gestellt hat?«
»Ach. Wer sollte das denn getan haben?«
»Was weiß ich.«
Wir verließen den Fahrstuhl. »Doch, John, du weißt es irgendwie. Oder kannst es dir vorstellen. Du denkst noch immer an Shaos Vergangenheit und damit an Amaterasu.«
Ich nickte.
»Wenn ich ehrlich sein soll, schon. Ich habe immer überlegt, ob da nicht noch etwas nachkommt. Ich kann mich irren, okay, nur ausschließen möchte ich es nicht.«
»Das ist weit hergeholt.«
»Ja, das sehe ich ein. Aber ist es auch unmöglich?«
Suko schwieg…
***
Das bin ich! Himmel, das bin ich!
Shao kam sich vor wie aus einem Traum gerissen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hockte auf ihrem Stuhl, als hätte jemand die Sitzfläche mit Leim bestrichen, und sie starrte aus großen Augen auf den Monitor, während über ihre Wangen der Schweiß lief.
Zwei Frauen.
Eine lag auf dem Altar. Die andere war mit einem langen Speer oder einer Lanze bewaffnet, um eventuell gegen das Untier zu kämpfen, das zwischen Shao und dem Altar stand.
Ich bin aus der Wand gekommen, dachte die echte Shao und kriegte wieder eine Gänsehaut, als sie sich auf die virtuelle Person konzentrierte, die zwar keine Person aus Fleisch und Blut war, aber so verflucht echt aussah.
Nicht wie eine relativ steife Comicfigur, denn so waren sie früher in den Spielen zu sehen gewesen. Nein, da hatte sie keine abgehackten und ruckartigen Bewegungen gesehen. Diese Figur hier war so gut wie ein normaler Mensch, als wäre eine echte Haut über diese am Computer entstandene Person gezogen worden.
Sie hielt sich in der Totenwelt auf. Welche Welt? Wo lag sie?
Gab es sie nur in den Köpfen der kreativen Spiele-Erfinder, oder existierte sie in der Wirklichkeit? Vielleicht nicht sichtbar, sondern versteckt in einer anderen Dimension, die Shao ja ebenfalls nicht unbekannt war.
Eine Antwort konnte sie darauf nicht geben, weil ihr alles noch zu fremd war.
Eines aber stand fest. Sie durfte jetzt nicht aufgeben und das Spiel abbrechen. Sie musste weitermachen, obwohl es ihr nicht leicht fiel. Und Shao glaubte nicht an einen Zufall, dass gerade ihr das Spiel vor die Füße gefallen war. Das war gelenkt worden. Sicherlich von irgendwelchen Kräften im Hintergrund, mit denen sie bisher offiziell noch nichts zu tun gehabt hatte.
Weitermachen. Agieren. Nicht reagieren. Jetzt mit ihrer Zwillingsschwester weiterspielen.
Bevor sie das tat, musste sie noch einen Schluck Tee trinken. Es tat ihr gut, obwohl der Tee inzwischen kalt geworden war. Aber er rann als erfrischender Strom durch die Kehle in den Magen, und bald fühlte sich Shao wieder wohler.
Sie machte weiter. Ihre rechte Hand berührte die Maus. Sehr vorsichtig behandelte sie die zweite Shao, die genau das tat, was die echte wollte.
Sie bewegte sich etwas zur Seite und glitt
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