Shaos Todeswelt
dem Bildschirm einzunehmen. Zitternd blieb sie auf dem Teppich hocken. Der Schock zog sich zurück, und Shao spürte die Schmerzen an ihrem rechten Fuß. Sie trug keine festen Schuhe, sondern nur leichte Pantoffeln, hinten offen, deshalb hatte es für die unsichtbare Kralle überhaupt kein Hindernis gegeben.
Behutsam zog Shao ihr rechtes Hein an, um die verletzte Ferse genauer anzuschauen. Sie hatte auch gesehen, dass Blut auf dem Teppich zurückgeblieben war.
Ja, die Ferse blutete. Die Spuren der Kralle waren unübersehbar. Blutende, schmerzende Verletzungen.
Die Chinesin kam mit den Dingen überhaupt nicht zurecht. Sie zählte nicht zu den Menschen, die sich einfach in ihr Schicksal ergaben, nein, Shao war eine Frau, die analysieren konnte. Sie wollte nachdenken, sie musste gewissen Dingen auf den Grund gehen.
Das war normal.
Nur hier nicht.
Sie kam einfach nicht zurecht. Es gab eine Verbindung zwischen der normalen und der virtuellen Welt. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie zustande gekommen war und wer sie erschaffen hatte. Vielleicht war es auch jemandem zum ersten Mal gelungen, diese beiden Welten durch ein unsichtbares Band miteinander zu verbinden, und Shao war zu einem ersten Opfer dieser unerklärlichen Verbindung geworden.
Der Schmerz sorgte bei ihr wieder für die Konzentration auf das Wesentliche.
Da ging es nur um den verletzten Fuß, den sie sich genauer anschaute.
Die Wunden bluteten noch; so würde sie nicht herumlaufen können. Bevor sie sich wieder mit der Totenwelt beschäftigte - und das wollte sie - musste sie etwas sehr Menschliches und Reales tun. Ins Bad gehen und die Wunde verbinden oder verpflastern.
Sie zog sich an der Schreibtischkante in die Höhe. Dabei blickte sie zwangsläufig auf den Schirm. Dort tat sich nichts mehr. Die Totenwelt war erstarrt - stehengeblieben. Das Monstrum gab es nicht mehr, und Shao II bewegte sich ebenfalls nicht.
Aber sie blutete an der Ferse. Die andere Person auf dem Altar war auch nicht so deutlich zu erkennen, denn sie lag einfach noch zu weit entfernt.
Humpelnd bewegte sich Shao durch den Wohnraum und nahm dabei Kurs auf das Bad. Im Wandschrank fand sie die nötigen Mittel, die jetzt wichtig waren.
Bei jedem zu harten Auftreten explodierte der Schmerz, und die Chinesin biss die Zähne zusammen. Sie würde nicht aufgeben und weitermachen, das stand fest. Aber sie würde in der Zukunft vorsichtiger sein, wenn sie wieder vor dem Computer hockte.
Im Bad nahm Shao auf einem Hocker Platz. Danach streifte sie das rechte Hosenbein in die Höhe. Jetzt konnte sie die Wunde besser sehen.
Bevor sie das Pflaster aufklebte, musste die Verletzung gereinigt werden. Shao holte den Duschkopf vom Haken und ließ lauwarmes Wasser darüber laufen.
Es tat ihr gut.
Danach trocknete sie die Stelle ab und holte die Pflaster aus dem Schrank. Sie entschied sich für die normalen Strips und nicht für das aus der Spraydose.
Drei benötigte sie, dann waren die Wunden einigermaßen verdeckt. Immer noch humpelnd verließ sie das Bad und blieb im Wohnraum nachdenklich stehen. Diesmal interessierte sie der Computer nicht, sondern das Telefon.
Was sie in der letzten halben Stunde erlebt hatte, war normal nicht erklärbar. Sie sah es als einen Angriff auf sich selbst an. Allerdings wollte sie den Begriff virtuell nicht unbedingt unterstreichen, sondern ihn durch das Wort magisch ersetzen. Eine Attacke aus einer anderen Welt oder einer fremden Dimension, deren Herrscher es allerdings geschafft hatten, sich die moderne Technik zunutze zu machen.
Wie und wo das geschehen war, wollte Shao zwar herausfinden, nur kam sie sich dabei etwas schwach vor. Sie stand damit allein auf weiter Flur, und das war nicht gut.
Hilfe war nötig.
Natürlich dachte sie an Suko und auch an John Sinclair. Sie brauchte nur zum Telefon zu greifen, um beim Yard anzurufen, denn beide wollten einen Bürotag einlegen. Davor aber schreckte sie noch zurück. Was hätte sie ihnen sagen und erklären sollen?
Die Wahrheit, und die Verletzung am Fuß war der Beweis dafür. Nur dachte Shao daran, dass diese Sache die beiden Männer eigentlich nichts anging. Das war einzig und allein ihre persönliche Angelegenheit. Sie war schließlich angegriffen worden, und sie hatte ihr Pendant in dem Videospiel entdeckt. Es war also eine Abrechnung mir ihr, wer immer auch diese Totenwelt regierte.
Für Shao verwandelte sich das gesamte Erleben mehr in ein mythologisches Rätsel, das durchaus auch mit ihrer
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