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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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Gelt zu suchen.
    Von dieser langen und anstrengenden Suche war weder der Bär noch der König unverändert zurückgekehrt. Shardik wurde brummend und sich gegen seine Ketten sträubend, bis er erschöpft und halb erdrosselt dort lag, nachts bei allgemeinem Ausgehverbot in die Stadt gezogen, sonst hätte das Volk etwas gesehen, was ihm als Erniedrigung der göttlichen Kraft erschienen wäre. Die Ketten hatten ihm auf einer Halsseite und unter dem Gelenk des linken Vorderbeins Wunden verursacht; nach langsamer Heilung verblieb ein Hinken sowie eine unbeholfene, unnatürliche Haltung seines großen Kopfes, den er nun beim Schreiten langsam auf- und abwärts bewegte, als fühle er noch den Druck der Ketten, die nicht mehr da waren. In den ersten Monaten wurde er oft gewalttätig, schlug mit kräftigen Hieben, die wie Schmiedehammerschläge durch das Gebäude hallten, gegen die Stangen und Wände. Einmal brach die frische Ziegelwand, die eine der Öffnungen verschloß, und fiel unter seinem Zorn zusammen, und er wanderte eine Zeitlang durch den Wandelgang dahinter und schlug gegen die Außenmauer, bis er müde wurde. Kelderek hatte das als günstiges Vorzeichen für einen erfolgreichen Angriff gegen Ikat gedeutet; und tatsächlich folgten die Ortelganer seiner Prophezeiung und zwangen Santil-ke-Erketlis zum Rückzug südwärts durch Lapan, mußten jedoch ihren Vormarsch wieder an der Grenze nach Yelda zum Halten bringen.
    In kaum einem Jahr war Shardik aber mürrisch und lethargisch geworden, er litt unter Würmern und an einem Geschwür, das ihn veranlaßte, sich mißmutig an einem Ohr zu kratzen, bis es ausgezackt und unförmig wurde. Kelderek, ohne Rantzay und die Tuginda und behindert durch den begrenzten Raum und die ständige düstere Wildheit des Bären, gab die Hoffnung auf, die er einst gehegt hatte, den Gesangsritus wiederaufzunehmen. Obwohl alle Mädchen Shardik fleißig fütterten, für seine Bedürfnisse sorgten und das Haus säuberten und pflegten, das seine Wohnung geworden war, fürchteten sie sich jetzt so sehr vor ihm, daß es allmählich allgemein anerkannt wurde, es gehöre nicht mehr zu ihrem Dienst, sich ihm zu nähern, es sei denn im Schutz der Eisenstangen. Von ihnen allen wußte nur noch Kelderek in seinem Herzen, daß er vor Shardik stehen und ihm, ohne irgendwelche Belohnung, sein Leben anbieten und immer wieder dabei sein Hingebungsgebet murmeln mußte: »Senandril, mein Herr Shardik. Nimm mein Leben hin. Ich bin dein und verlange nichts dafür.« Doch sogar im Gebet antwortete er sich selbst: »Nichts – nur deine Freiheit und meine Macht.«
    In den langen Monaten der Suche, in denen zwei Mädchen gestorben waren, hatte er sich ein Malariafieber zugezogen, das ihn immer wieder befiel, so daß er zitternd und schwitzend, außerstande zu essen, auf seinem Bett lag und – besonders wenn der Regen oben auf das Holzdach trommelte – in wirren Träumen glaubte, er folge Shardik aus dem Wald, um die entsetzten und angeschlagenen Feinde aus Bekla zu vernichten; oder er suchte Melathys, stürzte im Sternenlicht über die Terrassen zu einem Feuer, das vor ihm zurückwich, während aus den Bäumen die Stimme der Tuginda erscholl: »Begehe nur keinen Frevel, vor allem jetzt nicht!«
    Er bekam ein Gespür für jene Tage, an denen er sicher sein konnte, daß Shardik sich nicht rühren würde – die Tage, an denen er neben ihm stehen, dem brütenden Bären von der Stadt, von den ihr drohenden Gefahren und davon erzählen konnte, wie sehr sie göttlicher Hilfe bedurfte. Zeitweilig, unvorhergesehen, empfand er wieder das Gefühl, auf eine höhere Ebene jenseits des menschlichen Lebens erhoben zu werden. Nun aber, statt daß er jenen Höhepunkt ruhiger, glänzender Stille erreichte, von dem er einst auf die Umgebung des ortelganischen Waldes hinabgeblickt hatte, nun schien er zu Herrn Shardik auf die Spitze eines schrecklichen, wolkenumzogenen Berges zu gelangen, zu einem leblosen Ort, einsam und fern wie der Mond. Durch Dunkelheit und eisige Dämpfe, wo auf schwarzem Himmel Sterne flimmerten, ertönten Donnergrollen, Vogelschreie, undeutliche Stimmen – unverständliche Warn- oder wilde Triumphschreie. Sie erreichten ihn, der geduckt am Rande eines phantastischen und schrecklichen Abgrunds stand und diese Leidenswelt ohne Zuflucht ertrug. Von Pol zu Pol war niemand mehr übrig, um in dieser Welt zu leiden, nur er; und stets war er in seiner Trance unfähig, sich zu regen – vielleicht kein Mensch mehr,

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